Reinharz bei Bad Schmiedeberg Reinharz bei Bad Schmiedeberg: Zwei ausgesetzte Schildkröten fühlen sich wie zu Hause

Wittenberg - Die Sonne lässt die Luft schon im Mai über dem Brauhausteich am Schloss Reinharz flimmern. „Da sitzen sie“, sagt Horst Bartsch und zeigt auf einen Baumstamm im Wasser. Zwei Schildkröten - erst mit dem Fernglas sind die Prachtstücke deutlich zu erkennen - recken ihre Köpfe gen Himmel und schauen sich um. Bartsch, der sich vor Ort unter anderem um die dortigen Ferienwohnungen kümmert, ist begeistert. „Seit zwei Jahren sind sie hier und werden von den Urlaubern gern beobachtet“, erzählt er.
Einheimische Art ausgestorben
Dass die Sonnenanbeter im Brauhausteich, der seinen Namen erhielt, weil dort einst Eis zur Bierkühlung geschlagen wurde, eigentlich gar nichts verloren haben, macht Axel Schonert dem Reinharzer klar. „Das sind Rotwangen-Schmuckschildkröten. Sie kommen ursprünglich aus dem Süden Nordamerikas“, sagt der Biologe. „Die Europäische Sumpfschildkröte, die hierher gehören würde, ist bei uns leider längst ausgestorben“, erklärt er Bartsch.
Die Rotwangen- Schmuckschildkröte gehört zur Familie der Neuwelt-Sumpfschildkröten. Sie ist in Nordamerika beheimatet und verbringt die meiste Zeit ihres Lebens im Süßwasser. Schmuckschildkrötenweibchen können bis zu 30 Zentimeter lang werden, die Männchen bleiben mit 25 Zentimetern etwas kleiner. Das Gewicht liegt bei einem ausgewachsenen Weibchen bei bis zu 1,5 Kilogramm. Rotwangen-Schmuckschildkröten werden 30 bis 40 Jahre alt. Ab einer Größe von etwa 18 Zentimeter fangen die Weibchen an, Eier zu legen. Ungestörte Teiche oder auch langsam fließende Flussabschnitte mit schlammigem Grund und dichter Ufervegetation sind, laut Wikipedia, der bevorzugte Lebensraum. Wie andere Sumpfschildkröten auch hält sie sich im Frühling und Sommer viel außerhalb des Wassers auf und sonnt sich stundenlang.
Frank Hünefeld von der Unteren Naturschutzbehörde beim Landkreis bestätigt das auf Nachfrage. Es habe nach 2001 im Kreis noch drei Einzelbeobachtungen an der Alten Elbe Melzwig, in einem Reinsdorfer Gartenteich und an der Schwarzen Elster bei Jessen gegeben. „Mehr nicht, zumal dies auch Tiere aus privaten Haltungen gewesen sein könnten. Die Europäische Sumpfschildkröte gilt in Sachsen-Anhalt als ausgestorben.“
Bartsch hat sich derweil am Ufer entlang auf den Weg zu den Einwanderern auf dem Baumstamm gemacht. „Scheu sind sie“, sagt er und wie auf Kommando taucht die erste mit einem sanften Sprung ins Wasser ab. Kleine Wellen verraten sie dann ganz in der Nähe. „Sie kommt wieder“, ist sich Bartsch sicher, Geduld sei nötig. Doch schneller als gedacht ist auch das zweite Exemplar erneut oben, die Sonnenstrahlen sind wohl zu verlockend.
Uwe Zuppke, Experte in Sachen Fauna und Autor zahlreicher einschlägiger Fachbücher, findet indes die Ausbreitung der Schmuckschildkröten in hiesigen Gewässern problematisch. Erst am Wochenende wurde ihm eine Sichtung einer Gelbwangen-Schmuckschildkröte am Klödener Riß gemeldet. „Es gibt mehrere Arten dieser Reptilien. Sie werden gezüchtet und im europäischen Tierhandel verkauft“, erzählt der Wittenberger. Die viele Jahre florierende Einfuhr von Rotwangen-Schmuckschildkröten indes sei heute in allen EU-Ländern verboten.
Gehandelt werden dürften nur noch hierzulande gezüchtete Tiere bzw. der Nachwuchs der bereits eingeführten Schildkröten. Eine ordnungsgemäße Haltung vorausgesetzt, bestehe eigentlich auch kein Problem, fügt Zuppke an. Das Problem beginne, wenn die Tiere, weil sie zu groß und unbequem geworden sind, einfach ausgesetzt werden oder ausbüxen. In einem Merkblatt stellt die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde dazu fest: „Ausgesetzte und entlaufene Schildkröten stören in erheblichem Maße das heimische Ökosystem und fressen gefährdete Amphibien, Insekten und Wildpflanzen“.
Wissenschaftliche Untersuchungen der negativen Auswirkungen gebe es gleichwohl noch nicht, fügt Zuppke an und erinnert an das im Bundesnaturschutzgesetz verankerte Verbot, solche Tiere auszusetzen. Zudem sei das Aussetzen „schon allein aus ethischen Gründen zu verurteilen, weil die mit dem Kauf übernommene Verantwortung abgeschoben und das Tier seinem Schicksal überlassen wird, das Tierquälerei gleichkommt“, schreibt der Experte im unlängst erschienenen Heft des Landesamtes für Umweltschutz „Lurche und Kriechtiere in Sachsen-Anhalt“.
Es werden immer mehr
Trotzdem, so Zuppke weiter, steige die Population der Schmuckschildkröten in Freiheit deutschlandweit, besonders in der Nähe größerer Städte. „Nahrung ist vorhanden. Die Winter werden immer milder. So haben die Einwanderer große Chancen, auch in der freien Natur zu überleben.“ Eine Fortpflanzung sei jedoch bislang noch nicht nachgewiesen.
Frank Hünefeld möchte indes nichts ausschließen. Es könnte bei einer ausreichenden Zahl an Tieren - jedes von ihnen kann schließlich bis zu 40 Jahre alt werden - und bei wärmeren klimatischen Bedingungen schon zu einer Vermehrung kommen, sagt er. „Und was passiert dann?“ Die Entwicklung müsse durchaus im Blick behalten werden. „Wir werden mal an den Brauhausteich schauen und Kontakt zu dem Eigentümer aufnehmen“, informiert der Experte aus der Kreisverwaltung. (mz)