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Reformationstag in Wittenberg Reformationstag in Wittenberg: Auch leise Töne haben eine Chance

Von KARINA BLÜTHGEN 31.10.2010, 13:57

Wittenberg/MZ. - Harfentöne erklingen zu Füßen des Standbildes von Philipp Melanchthon, der, wie eine Besucherin findet, "so schön glänzt". Und man hört die zarte Melodie auch. Denn es ist eben nicht Stadtfest, der Rausch des Spektakels, mit Geschrei und Gedröhn von allen Seiten. Das Reformationsfest ist der eher stille Geselle neben "Luthers Hochzeit", Zeit zum Besinnen, zum Gespräch. Tausende Menschen schieben hintereinander her durch die Wittenberger Schlossstraße, über Schlosshof und Markt. Sie laufen und schauen, lauschen und essen etwas, kaufen auch. Und fangen wieder von vorn an. Besucher in Jeans treffen auf historisch gewandete Zeitreisende, etwa Michael Schicketanz, der in seinem Gewand als Melanchthon im Kunsthof ins Gespräch kommt.

Zwiegespräch mit Melanchthon

"Das sage ich den Frauen immer: Achten sie darauf, was von ihnen übrig bleibt. Wenn es wie hier ein Brief über Ziegen ist, kommen später immer die Ziegen vor", scherzt Schicketanz-Melanchthon. Denn da stehen sie, sieben an der Zahl und aus ganz verschiedenen Materialien. "Nachdenken über Katharina M." heißt die Aktion der Künstlerinnen und Künstler, die drinnen in einem kleinen Raum das Melanchthonjahr auf ganz andere Art spürbar werden lässt. Was wäre Philipp ohne Katharina gewesen? Und was ist geblieben von Katharina außer der Geschichte mit den Ziegen, die in Wittenberg gar nicht gehalten werden durften? "Wir haben unsere Vorstellungen zum Thema Mittelalter mit unseren Materialien zum Ausdruck gebracht", sagt Marion Münzburg. Zeitfenster in Linoleum oder als Collage öffnen sich, man sieht auf einen Tisch mit Wachsresten und auch Schmuckdosen als Hochzeitsgeschenk eines Cousins zweiten Grades.

Gemütlich bummeln Andreas und Heike König über die Höfe. Mit dem Motorrad sind sie aus Altenburg gekommen, genießen mittelalterliche Tänze und das schöne Wetter. Zusammen mit Dietmar Kieshauer und Christel Müller sind sie öfter auf zwei Rädern unterwegs und in Wittenberg nicht zum ersten Mal. Man bummelt, schaut und schwelgt. "Fladenbrot mit Schafskäse", schwärmt Christel Müller von den Genüssen, die Leib und Seele zusammenhalten. "Steak und Bratwurst kann man schließlich überall bekommen."

Fanfaren ertönen, Spielleute sind unterwegs, und während so mancher auf dem Schlosshof bei den historischen Vereinen aus Wittenberg und Umgebung sein Süppchen schlürft, spielen die Rabenbrüder auf. Längst haben die Stadtführerinnen ihre Touren aufgeben müssen, man kommt mit Gruppen schon gar nicht mehr durchs Gewühl. Aber sowohl die koreanischen Journalisten als auch die Freunde des Washington Metropolitan Philharmonic Orchestra fanden es wohl ganz toll. Am Stand der Werbegemeinschaft Altstadt geht der inzwischen dritte Brunnentaler ganz ordentlich weg. Marc Palma, bei Festen sonst in der Farbenküche im Cranachhof in Aktion, freut sich nach zwei Stunden am Stand mal ganz privat den Trubel genießen zu können. "Ich bin ja aus Berlin zugezogen. Seit ich hier bin, hat sich mein Bild von der Reformation schon verändert", sagt er. "Wenn man bedenkt, dass damals eingeführte Dinge wie Sozialkassen bis heute unser Leben bestimmen."

Was den Tag ausmacht

"Schlag vier am Schloss" folgt dann der bedeutsame Akt: der Thesenanschlag aus Sicht von vier Beobachtern, die den Mönch Martin eilen, stürzen und aufstehen sehen und jeden Hammerschlag an der eichenen Kirchentür kommentieren. Theatralisch in Szene gesetzt von der Bühne Wittenberg, schließt sich hier der Bogen zu den morgendlichen Gottesdiensten. Und führt hin zu dem, was diesen Tag ausmacht, was ihn für die evangelischen Christen zu einem Feier-Tag werden lässt. Leckeres Essen und gute Gespräche inklusive.