1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Start ins Luther-Jahr: Reformationsjubiläum in Wittenberg: Martin Luther ist schon jetzt gefragt

Start ins Luther-Jahr Reformationsjubiläum in Wittenberg: Martin Luther ist schon jetzt gefragt

Von Ralf Böhme 31.10.2016, 19:21
500 Jahre Reformation: Wittenberger wie Ministerpräsident Reiner Haseloff (rechts) lassen auf dem Marktplatz 500 Luftballons aufsteigen.
500 Jahre Reformation: Wittenberger wie Ministerpräsident Reiner Haseloff (rechts) lassen auf dem Marktplatz 500 Luftballons aufsteigen. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Dieses Pensum bewältigt nur ein echter Frühaufsteher. Martin Luther - das ist mehr denn je eine Vollzeitstelle. Erst recht gilt das am Reformationstag. Bernhard Naumann, der Kirchmeister von St. Marien, erledigt das mit Bravour. Der 61-Jährige ist vermutlich als erster in Wittenberg raus aus den Federn. Und er kommt wahrscheinlich auch erst als letzter ins Bett.

Als Naumann in aller Frühe die Tür der Schlosskirche öffnet, trägt er noch Zivil - einen schwarzen Anzug. Um diese Zeit sitzen selbst begeisterte Luther-Verehrer beim Frühstück. Doch genau diese Stunde nutzt der Gastgeber zur umfassenden Kontrolle. Pannen soll es beim großen Gottesdienst, der das Luther-Jahr in Wittenberg offiziell eröffnet, nicht geben. Er registriert: Liedtexte liegen bereit. Die Orgel tönt voll. Sämtliche Lampen spenden Licht. Vieles ist zu bedenken. Doch dann entern die Kinder vom Chor die Empore - für eine Abschlussprobe. Aber auch andere Teilnehmer, vor allem Politiker und Künstler, suchen das Gespräch. Auskünfte, Absprachen, Begrüßungen. Naumann erweist sich als Mann für alle Fälle und löst Probleme fast nebenbei: Selbst um das Wechselgeld für den Souvenirshop kümmert er sich - und schaut freundlich dabei. „Ich freue mich auf diesen schönen Tag.“

Luther-Jahr: Gunther Emmerlich ist Initiator einer ungewöhnlichen Spendenidee

Naumanns grenzenloser Optimismus empfiehlt ihn geradezu als den Luther des Jahres. Sein Lächeln erreicht auch Claudia Hoffmeister, die sich mit ihm einig ist: „500 Jahre Reformation - das ist ein ganz unerhörtes Jubiläum.“ Sie wolle diesen Tag deshalb ganz bewusst im Ursprungsland dieser Weltveränderung erleben. Die Ärztin, die aus Niedersachsen stammt und jetzt in Brandenburg lebt, treibt dabei eine Frage an: „Was geht uns Luther heute an?“ Gelingt es, darauf eine praktikable Antwort zu finden, dürften sich im Osten bestimmt wieder bald mehr Menschen dem christlichen Glauben zuwenden. Andererseits stimme sie die Nachricht, dass beispielsweise die Schlosskirchengemeinde in Wittenberg nur wenig mehr als 110 Mitglieder zähle, doch sorgenvoll. Neues ausprobieren, um attraktiv zu bleiben, da finden die Wittenberger in TV-Star und Sänger Gunther Emmerlich einen Verbündeten. Der Dresdner, Schirmherr der Wittenberger Kirchensanierung, ist Initiator einer ungewöhnlichen Spendenidee. Acht Millionen Euro sollen so aufgetrieben werden. Und so funktioniert es: Der Geldgeber macht ein Selfie, lädt es im Internet auf www.am-tisch-mit-luther.de hoch und erhält für fünf Euro ein digitales Foto, dass ihn am Abendmahlstisch mit dem Reformator zeigt. Dann ab damit in die virtuelle Welt. Naumann alias Luther: „Warum nicht, so avanciert unser Reformator noch zum Popstar bei Facebook und Co.“

Jährlich 80.000 Pilger in der Stadtkirche Wittenberg

Bischof Michael Bürker aus Wien, der in der voll besetzten Stadtkirche predigt, spricht davon, dass heute in Wittenberg die Welt zu Gast sei - ebenso wie 1517, als die Stadt und ihre Universität ihren Ruf als Stätten des Aufbruchs begründen. Luther selbst predigt mehr als 2.000 Mal in der Mutterkirche der Reformation. Inzwischen kommen jährlich mehr als 80.000 Pilger hierher, bis zum Sommer 2017 werden es Hunderttausende sein.

Ende Mai ist ein Gottesdienst auf den Elbwiesen geplant, da selbst sämtliche Kirchen Wittenbergs diese Heerscharen nicht fassen können. Eine kleine Einstimmung darauf schafft das Treffen von 500 Konfirmanden aus ganz Deutschland, die sich am Reformationstag in Wittenberg treffen - unter dem Motto „Lutherspass“. Unüberhörbar ziehen sie zu dem Ort, wo einst die 95 Thesen wider den Ablass gehängt haben sollen. An der Spitze der lautstarken Prozession eine Formation der Johanniter mit gut 30 Trommlern - mittendrin Bernhard Naumann im Luther-Gewand. Er segnet die Jugendlichen und stellt ihnen unter anderem diese Frage: „Was können wir tun, um der Schöpfung eine Zukunft zu geben?“ Im Cranach-Haus müht sich Pfarrer Friedrich Schorlemmer um eine Antwort. Was die Schöpfung gefährdet, so denkt er vor 150 Zuhörern laut nach, kann keine Lösung sein. Zweifel an einem Wirtschaften, das auf der einen Seite Reichtum, auf der anderen Armut hervorbringe, seien notwendig. Reformation übersetzt der ehemalige DDR-Bürgerrechtler mit Mut zur Veränderung.

Stand mit den Ablassbriefen zum Reformations-Jubiläum

Der neue Luther macht es derweil seinem Vorbild nach. Er mischt sich unters Volk und schaut ihm auf Maul. Das Markttreiben, das wie eine Kopie des neuen Asisi-Panoramas wirkt, gibt dem Kirchenmann reichlich Gelegenheit. Das Gedränge ist groß. Martin Luther jedoch ist die Geduld in Person. Immer wieder steht er bereit für Fotos, schüttelt Hände. Wer ihm begegnet, bekommt seinen Segen. Mancher lenkt danach seine Schritte zum Stand mit den Ablassbriefen: Sünden-Freikauf wie anno dazumal. Rülpsen und Furzen kostet zum Beispiel drei Euro. Eine Eheschließung mit der Haltbarkeit von 24 Stunden ist für 15 Euro zu haben. Luther schaut zu. Er ist kein Spaßverderber. (mz)