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Praxisgebühr Praxisgebühr: Wegfall des Kassenbeitrags sorgt für unterschiedliche Reaktionen

Von Sabine wesner 09.01.2013, 18:43

Wittenberg/MZ. - Der Wegfall der Praxisgebühr sorgt nicht nur bei den Patienten für Freude. Die mussten bisher im Quartal schon mal bis zu 30 Euro bei den verschiedenen Ärzten auf den Tisch legen. Auch in den Arztpraxen wird neun Jahre nach Einführung des seit jeher umstrittenen Kassenbeitrages aufgeatmet. Doch eitel Freude herrscht angesichts der mit Jahresbeginn wirksam gewordenen Abschaffung nicht überall.

Geldeintreiber für Krankenkassen

Solveig Blase, niedergelassene Ärztin in Wittenberg, findet es "hervorragend", dass die Praxisgebühr Geschichte ist. "Wir waren doch eh nur die Geldeintreiber für die Krankenkassen und haben den ganzen bürokratischen Aufwand zum Nulltarif betrieben", sagt die Doktorin und verweist auch auf eine psychologische Hürde bei Hausbesuchen und Bereitschaftsdiensten.

"Wenn man erst die Chipkarte und zehn Euro verlangen muss, bevor man etwas tut, kommt man sich schon blöd vor", gesteht die Medizinerin und freut sich, dass die Mitarbeiter in den Praxen nun wieder mehr Zeit für die Patienten haben.

"Zwei bis drei Stunden täglich sind für das Abkassieren und Ausstellen der Quittungen draufgegangen", schätzt Oberschwester Peggy Küster. Die täglichen Kassenkontrollen, die wöchentlichen Abrechnungen und die Wege zur Kasse seien noch nicht mal mitgerechnet.

"Das war ja nicht nur ein bürokratischer Aufwand. Die ständigen Diskussionen mit den Patienten waren nicht immer spaßig", erzählt die Mitarbeiterin von Solveig Blase. Ganz abgesehen davon, dass die Mitarbeiterinnen angesichts des vieles Geldes, das sich vor allem zu Quartalsbeginn in der Arztpraxis befand, oft ein recht ungutes Gefühl hatten. Dass die Praxisgebühr wegfällt, findet die medizinische Fachangestellte "einfach nur wunderbar".

Vorm Zahnarztbesuch gedrückt

Auch Rena Kallin, Zahnarzthelferin in der Praxis von Kathrin Anders in Globig-Bleddin, ist froh, dass die Gebühr abgeschafft wurde.

"Mal sehen, was nun kommt. Ich kann noch nicht glauben, dass das einfach so und ersatzlos gestrichen wird", ist die medizinische Fachkraft skeptisch. "Auf jeden Fall", meint sie angesichts des Hochbetriebs in der Praxis, "kommen wieder mehr Patienten, die sich bisher auch wegen des Beitrages vorm Zahnarztbesuch gedrückt haben, weil die Beschwerden noch nicht so schlimm waren."

Wichtiges Steuerungsinstrument

"So schlecht war die Praxisgebühr nun auch nicht", findet Reinhardt Albrecht aus Gräfenhainichen. Auch der bürokratische Aufwand hielt sich, so versichert der Doktor, nachdem sich alles eingespielt hatte, in Grenzen. "Die Praxisgebühr wurde den Ärzten gutgeschrieben und später beim Honorar abgezogen und die Ärzte waren liquide", kann er dem Kassenbeitrag auch gute Seiten abgewinnen.

"Der Beitrag war schon ein wichtiges Steuerungsinstrument. Der Allgemeinmediziner spricht von einem "explodierenden Patientenansturm bei den Notdiensten und Fachärzten, wo nun wieder Tür und Tor offen sind für alle Belanglosigkeiten". Die Abschaffung der Praxisgebühr nennt er ein Wahlgeschenk. "Nach der Wahl wird ein anderes Steuerungsinstrument aus der Tasche gezogen, da bin ich ganz sicher", so Albrecht.

Bevormundung der Bürger

Auch Peter Henning, Urologe in Wittenberg, ist skeptisch. "So ganz ohne ein Regularium werden wir nicht auskommen. Man muss die Entwicklung in den nächsten Monaten abwarten. Wenn zu viele Patienten mit allen Bagatellen gleich zu den Fachärzten gehen, sind die Praxen überfordert", meint Henning. Er befürchtet, dass die "Notfälle" wieder zunehmen, weil Patienten lieber den Arzt anrufen, als sich ins Wartezimmer zu setzen.

Die Praxisgebühr, deren bürokratischer Aufwand in seiner Praxis nicht ganz so groß war, weil die meisten Patienten mit Überweisung kamen, bezeichnet der Urologe als eine "Bevormundung der Bürger". "Vor allem für chronisch Kranke war es eine Belastung, weil sie sich, obwohl die Diagnose feststeht und die Facharztbehandlung dauerhaft notwendig ist, immer und immer wieder neue Überweisungen holen mussten", sagt er.

Viel Zulauf in der Rettungsstelle

In der Notfallambulanz des Evangelischen Krankenhauses Paul Gerhardt Stift gibt es seit Monaten einen konstanten Zuwachs an Patienten. "Das hat aber nichts mit der Praxisgebühr zu tun", sagt Sönke Petrausch. Der Leitende Oberarzt, der sich selbst als "Leihgabe aus der Berliner Charité" bezeichnet, macht Fachärztemangel und lange Wartezeiten bei der Terminvergabe für die "unheimliche Zunahme an ambulanten Leistungen" in der Rettungsstelle im Stift dafür verantwortlich.