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Projekt Online-Simulation ermöglicht Rundgang durch Schlosskirche Wittenberg zur Zeit Luthers - Was es noch zu entdecken gibt

Online ist die Schlosskirche Wittenberg schon lange, aber jetzt können Interessierte auch einen virtuellen Rundgang unternehmen. Was es noch gibt.

Von Corinna Nitz 09.11.2021, 08:59
Die Schlosskirche 1517 nach Westen
Die Schlosskirche 1517 nach Westen Foto: Rekonstruktion & Visualisierung: Arte4D, Hummel/Knobelsdorf                            Fotos: Rekonstruktion & Visualisierung: Arte4D, Hummel/Knobelsdorf

Wittenberg/MZ - Ein Internet-Auftritt ist auch für die Wittenberger Schlosskirche eine Selbstverständlichkeit. Jetzt ist man einen Schritt weiter gegangen oder um es mit den Verantwortlichen zu sagen: „Am diesjährigen Reformationstag hielt das Digitalzeitalter zeitgemäß Einzug...“

Wer mag, kann sich also auf einen virtuellen Rundgang durch das Unesco-Weltkulturerbe begeben - und der ist hochinteressant, denn dem durch das 19. Jahrhundert geprägten Erscheinungsbild wird jener Zustand gegenübergestellt, wie ihn Martin Luther erlebt habe. Ihm verdankt der Sakralbau letztlich seine Bedeutung, denn Luther soll an der Tür der Schlosskirche am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlicht haben.

Jörg Bielig, Kustos Schlosskirchenensemble
Jörg Bielig, Kustos Schlosskirchenensemble
Foto: Klitzsch

Einfache Navigation

Diese Tür sieht man beim virtuellen Spaziergang in ihrem Originalzustand und sie war so schlicht wie offenbar weite Teile des Kirchenraumes. Von opulenter Vorhangmalerei an den Wänden ist jedenfalls noch keine Spur zu sehen, auch fehlte ein Großteil der Bestuhlung. Standen also die Menschen damals? „Es muss ein ständiges Kommen und Gehen gewesen sein“, sagt dazu der Kustos des Schlosskirchenensembles, Jörg Bielig, und begründet das damit, dass es zur Luther-Zeit nicht die klassische Gottesdienst-Form, wie sie heute geläufig ist, gab. Stattdessen „wurden jeden Tag“ Messen gelesen, was eine Erklärung für das erwähnte Kommen und Gehen sein könnte.

Auffallend beim Spaziergang per Mausklick ist auch die Vielzahl der Altäre, die es anno 1517 in der Schlosskirche gab. Etwa einen Allerseelenaltar. Und einen Marienaltar im einstigen kleinen Westchor, für den Lucas Cranach der Ältere ein Altarbild schuf. Der Betrachter erfährt auch einiges über den Verbleib solcher Werke: So befindet sich das Altarbild heute im Dessauer Georgium. Und der sogenannte Ober-Sankt-Veiter-Altar, dessen Bildtafeln nach Entwürfen von Albrecht Dürer geschaffen wurden, kann im Wiener Dommuseum besichtigt werden. Wie es weiter heißt, gebe es Hinweise, dass dieser Altar für die Schlosskirche in Wittenberg geschaffen wurde und dort vor dem Lettner-Gitter, eine Art Trennschranke, gestanden hat.

Die Navigation durch die Schlosskirche von 1517 und heute ist einfach und benutzerfreundlich. Über verschiedene Panoramastandpunkte können Informationen zum jeweiligen Bild beziehungsweise Objekt abgerufen werden. Kustos Bielig ist die Freude über dieses neue Angebot anzumerken. Das hat sicher auch damit zu tun, dass er bei Führungen wohl „fünf Dutzend mal“ die Frage höre, wie denn nun die Kirche zur Lutherzeit aussah. Andererseits, sagt er, imponiere ihm der wissenschaftliche Anspruch des Projektes. Den Angaben zufolge wurde die Computeranimation der spätgotischen Schlosskirche auf Grundlage umfangreicher wissenschaftlicher Recherchen von dem Dresdner Spezialunternehmen für Visualisierung historischer Bauten, Arte4D, erstellt. Dabei sei die einst umfangreiche Ausstattung aufgrund vieler Überlieferungslücken nur in Grundzügen dargestellt worden.

Die Thesentür 1517. Ein Dresdner Spezialunternehmen zur Visualisierung historischer Bauten hat eine Computeranimation der Schlosskirche erstellt.
Die Thesentür 1517. Ein Dresdner Spezialunternehmen zur Visualisierung historischer Bauten hat eine Computeranimation der Schlosskirche erstellt.
Foto: Rekonstruktion &Visualisierung: Arte4D, Andreas Hummel/Tobias Knobelsdorf)

Autobahn oder Ausbildung?

Die Gesamtkosten für das Projekt beziffert Bielig auf Nachfrage mit circa 65.000 Euro, davon seien 52.000 Euro vom Land gefördert worden. Mit dem Angebot verbunden sei auch die Hoffnung, Besucher nach Wittenberg zu ziehen. Darüber hinaus weist Bielig auf eine Besonderheit hin: So habe die Evangelische Gesamtschule ein Quiz zum Projekt entwickelt. Dabei müssen die Beteiligten äußerst engagiert gewesen sein, denn Bielig zufolge wurden 70 Fragen zusammengetragen.

Zwölf Fragen sind es nun, die beim virtuellen Rundgang abgerufen werden können, die vierte geht so: Wofür wird die Kirche bis heute noch genutzt? Als Autobahnkirche? Nicht schlecht. Als Kirche der Elbefischer? Auch hübsch. Tatsächlich ist sie Ausbildungskirche des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg. Dessen Direktorin, Sabine Kramer, wird in einer Mitteilung zum Projekt wie folgt zitiert: „Es ist eine großartige Erfahrung, sich auf Luthers Spuren virtuell in die Wittenberger Schlosskirche des Jahres 1517 zu begeben und damit Reformationsgeschichte anschaulicher zu erleben.“