Olympia 2012 Olympia 2012: Tauben fliegen von London nach Sachsen-Anhalt

Wittenberg/MZ. - "Ob das gut geht, wissen wir noch nicht", sagt Richard Reiß, aber der Vorsitzende der Wittenberger Reisevereinigung ist optimistisch. 25 seiner Brieftauben hat er am Dienstagabend zusammen mit Tauben aus Bernburg und Dessau auf die Reise nach London geschickt. Nahe der britischen Hauptstadt werden sie am Samstag mit tausenden anderen den Heimflug antreten. Die Aktion ist ein Beitrag des Internationalen Brieftaubenverbandes zu den Olympischen Spielen.
Rund 10 000 Brieftauben allein aus Deutschland sind gerade unterwegs zum Startort Bovingdon, nordwestlich von London. Rund 900 Kilometer trennen jene aus Sachsen-Anhalt dann von der Heimat und wie schnell sie die zurücklegen, wird vor allem von den Windverhältnissen abhängen. "Sie fliegen auf solchen Strecken zwischen 50 und 80 Kilometer in der Stunde. Aber 100 Kilometer Wasser haben sie noch nie gesehen und wahrscheinlich bis zum Festland leichten Gegenwind", sagt Reiß. Die Überquerung des Kanals wird demnach eine neue und auf dieser Strecke die größte Herausforderung sein. Deshalb setzt Reiß von seinen rund 300 Tieren auch nur die ein, die sich bereits über längere Strecken bewährt haben, "die sind schon Paris und Warschau geflogen und haben die nötige Erfahrung".
Am Dienstagabend wurden die Wittenberger, Bernburger und Dessauer nun also für ihren Olympia-Flug eingesetzt, "das bedeutet, dass sie elektronisch in einer Liste registriert werden. So kann keiner diesen Flug manipulieren", erklärt Reiß. 45 beringte Taubenfüße wurden jeweils an ein Lesegerät gehalten, ihre Daten erfasst, entsprechende Listen ausgedruckt und die Tiere behutsam - die Weibchen getrennt von den Herren - in Transportkisten sortiert.
In denen ging es zunächst mit dem Auto nach Fürstenwalde und ab da per Kabinenexpress nach Holland. Auf dem Weg werden weitere Teilnehmer eingesammelt und mit einem neuen Transporter dann per Schiff auf die Insel übergesetzt. "Die Tauben werden auf dem Transport ordentlich versorgt, bekommen Futter und Wasser, haben Platz und damit keinen Stress", erklärt Reiß. "Die sind während der Fahrt nicht mehr so aufgeregt wie jetzt und legen sich dann hin", sagt der Bernburger Züchter Fred Kettner.
Am späten Freitag werden die Reisenden Bovingdon erreichen und haben dann zudem noch eine Nacht zum Ausruhen. Nach derzeitiger Planung sollen sie Samstagmorgen acht Uhr starten und die ersten treffen wahrscheinlich noch am selben Tag zu Hause ein, in Belgien und Holland vielleicht schon nach drei oder vier Stunden. Den weitesten Weg haben die Tauben aus Rumänien mit mehr als 1 000 Kilometern (siehe "Immer dem Magnetfeld nach"). "Um zurückzufinden, müssen die Tauben sehr jung an diesen Ort gewöhnt werden, aber intelligente Tauben lassen sich auch später noch umgewöhnen", erzählt Reiß.
In Sachsen-Anhalt werden die Züchter am Samstag wohl etwa ab 18 Uhr öfter gen Himmel schauen. Wenn alles gut geht, rückt die Heimkehr der geflügelten "Olympioniken" dann bereits näher. "Höhepunkt ist natürlich, wenn hier die erste am Himmel zu sehen ist. Und der Züchter weiß genau, welche es ist", erzählt Reiß und bekommt leuchtende Augen. "Wir erkennen die ja schon, wenn sie noch in der Luft sind."
Von einem Gänsehaut-Gefühl in diesen Momenten spricht auch Fred Kettner. Denn dann haben die Tiere ihre Reise heil überstanden, sind keinem Raubvogel zum Opfer gefallen - "Falken wissen genau, dass samstags Tauben fliegen und schlagen zu" - und sind in keine Unwetterfront geraten. Ihre genaue Flugzeit wird bei der Rückkehr in den Schlag automatisch erfasst und dokumentiert.
Bis dahin heißt es nun aber erst einmal: Warten.