Notdienst Notdienst: Apotheker für alle Fälle

Wittenberg - Wann das „Malheur“ passiert sei, ist die Frage, die Heinrich Menz stellen muss. Dann greift er zielsicher zur passenden Schachtel. Die Frau zückt die Geldbörse und fragt, wie lange die Nebenwirkungen anhalten können. Nach einem kurzen Dank verlässt sie die Johann-Friedrich-Böttger-Apotheke in Wittenberg.
In ihrer Tasche hat sie die „Pille danach“. „Es gibt zwei unterschiedliche Präparate, je nachdem, wie lange es her ist“, erklärt der Apotheker, warum er fragen musste.
Nichts Menschliches fremd
Es ist Heiligabend, am frühen Nachmittag. Für Heinrich Menz gilt, was er auch an allen anderen Tagen beherzigt: Nichts Menschliches ist ihm fremd. Warum jemand etwas braucht, und wieso mancher ausgerechnet an Weihnachtsfeiertagen Mittel gegen Läuse verlangt, mag ihn zwar wundern. Aber ein Urteil darüber würde sich der 77-Jährige nie erlauben.
In Sachsen-Anhalt versehen täglich 45 Apotheken den Notdienst. Denn Krankheiten kennen weder Öffnungszeiten noch Feiertage. Die Erfahrungen der Apothekerkammer des Landes besagen, dass vor allem Kleinkinder und Heranwachsende den Notdienst der Apotheken benötigen. Bei Kindererkrankungen seien die Apotheker neben den Ärzten die ersten Ansprechpartner.
Von Heiligabend 12 Uhr bis zum ersten Feiertag 8 Uhr haben über 70 Kunden den Notdienst der Johann-Friedrich-Böttger-Apotheke in Wittenberg in Anspruch genommen, bilanziert Heinrich Menz. Etliche kamen mit Rezept, andere kauften das Notwendige. Vor allem Zahn- und Magenschmerzen, zudem Verbrennungen und Erkältungssymptome haben schnelle Hilfe erfordert.
Drei Mal hat Heinrich Menz in den vergangenen zehn Jahren den Notdienst zu Heiligabend übernommen. „Damit meine Mitarbeiter Weihnachten feiern können“, betont er. Derer acht hat er, doch zwischen den Feiertagen ist die Hälfte im Urlaub.
Seit 1976 leitet Menz die Böttger-Apotheke, damit ist er der dienstälteste Apotheker im Landkreis, der noch voll arbeitet. „Ich bin zufrieden, dass es auch noch Spaß macht und dass es gesundheitlich noch geht“, sagt er.
Da ist er besser dran als mancher, der an seiner Tür klingelt. Schon in der ersten Stunde, ab 12 Uhr mittags, sind es zehn. Menz kommt am Nachmittag kaum dazu, bei Kaffee und Stolle mal fünf Minuten durchzupusten.
Rezepte sind abzuarbeiten, mal geht es um Mittel gegen Fieber, mal etwas gegen Schmerzen nach einem Unfall, mal plagt der Durchfall. Ein Mann braucht dringend Hämorrhoidensalbe für die Partnerin, Apotheker Menz empfiehlt noch Sitzbäder dazu.
Das Telefon klingelt, eine Frau ist nach der Entbindung zu Hause, hat aber keine Einlagen. Menz kann nur diverses vorrätiges Inkontinenzmaterial als Ersatz empfehlen, was auch tatsächlich etwas später abgeholt wird.
Die Kunden am Heiligen Abend kommen nicht nur aus Wittenberg. Ingo Bräunig aus Bad Schmiedeberg hat kurzfristig Magenprobleme bekommen. „Ich war noch beim Arzt und habe mir etwas verschreiben lassen“, erzählt er. Zwar erhält er in Wittenberg sein Medikament, aber „für Heiligabend heute heißt es, nur Zwieback und Tee“, bedauert er, auf das Festmahl erst einmal verzichten zu müssen.
„Alles kann man nicht vorrätig haben“, weiß Heinrich Menz. Deshalb sind für Notdienste die sonst gültigen Rabattverträge der Krankenkassen für Medikamente außer Kraft. „Wir haben dann etwas mehr Spielraum, das muss aber auf dem Rezept vermerkt werden.“
Keine Zeit für den Krimi
Ist mal gar nichts Passendes im Haus oder kein Austausch möglich, wird über ein Nottelefon der Großhändler angerufen. In der Regel ist das Medikament dann binnen zwei Stunden in der Apotheke zu haben und muss dort abgeholt werden.
Am Abend wird es zur Abendbrotzeit etwas festlich, dann gönnt sich Heinrich Menz zusammen mit seiner Ehefrau Kartoffelsalat und Würstchen. Ansonsten versorgt er jene, die bei ihm vor der Tür stehen. „Wenn mal nichts zu tun ist, lese ich meist in einem Krimi“, erzählt er. Doch an Lesen ist dieses Jahr nicht zu denken.
Bis Mitternacht ist immer mal Kundschaft da. Dann klappt Menz seine Liege aus dem Schrank und gönnt sich mit einigen Unterbrechungen eine Mütze Schlaf. „So viel hatte ich nicht erwartet“, lautet seine Bilanz.
Und nur einmal konnte er nicht helfen. Am Telefon hoffte jemand, bei ihm ein Mittel für sein krankes Meerschweinchen zu bekommen. Menz verwies den Anrufer höflich an die Tierklinik. (mz)