50-Millionen-Euro Projekt Nordumfahrung Wittenberg: Kommt neue Straße im Jahr 2025?
Wittenberg - Straßenbau ist Männersache. Altmännersache vor allem, man braucht sich nur umzuschauen im Publikum. Das verleiht der Angelegenheit einen dramatischen Zug: Etliche von denen, die im gut gefüllten Wittenberger Stadthaus Platz genommen haben, werden die Wirklichkeitswerdung dessen, was da an in diesem Abend verhandelt werden soll, selbst nicht mehr (aktiv) erleben.
Auf der Tagesordnung steht: die Nordumfahrung. Ersehnt seit nunmehr bald Jahrzehnten an der Dessauer Straße, ernsthaft beplant seit 2009, was dann auch schon wieder sieben magere Jahre sind. „Geben Sie uns ein Stückchen Hoffnung“, wird Zuhörer und Stadtrat Horst Dübner (Linke) irgendwann am Abend Richtung Podium rufen, „die Lebenserwartung ist begrenzt.“ Die Hoffnung heißt: etwa 2025. Mindestens 50 Millionen Euro wird die neue Straße dann gekostet haben.
Nordumfahrung Wittenberg soll knapp 13 Kilometer lang werden
Bis diese beiden Zahlen fallen, muss sich das Publikum allerdings durch einen Berg aus Reisbrei fressen, mit dem Unterschied zum Schlaraffenland, dass es nicht für alle eines sein wird. Sollte Oliver Grafe vorgehabt haben, seine Zuhörer mürbe zu machen, so gelingt ihm das ziemlich gut.
Großzügig verteilt er den Reisbrei, pardon, die Verästelungen und Finessen des bundesdeutschen Genehmigungsverfahrens über die Zuhörerschaft, bis es hie und da leise anfängt zu murren. He, komm ma’ zum Punkt, du! Vielleicht will Grafe, Leiter der Landesstraßenbaubehörde für den östlichen Teil von Sachsen-Anhalt, aber auch nur um Verständnis werben dafür, warum das alles nun schon so elend lange dauert - und selbst eine Etappe wie der „Gesehenvermerk“ (es schauen: Bund und Land) teuer erkämpft werden muss. Damit was Ordentliches wird aus dem „Vorentwurf“ im Rahmen der so genannten Entwurfsplanung, in der sich die Nordumfahrung noch befindet.
Und damit dann zu den Fakten: 12,7 Kilometer lang ist die Trasse, die zwischen Griebo im Westen - dann nördlich von Apollensdorf-Nord zwischen Reinsdorf und Rothemark und dann wiederum nördlich von Teuchel, Stadtrandsiedlung und Trajuhn - und der Bundesstraße B2 bei Karlsfeld gebaut werden soll. Teil einer gedachten zügigen West-Ost-Verbindung zwischen Autobahn und Jessen/Holzdorf, befindet sich das Vorhaben seit diesem Jahr immerhin im „vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans 2030.
„Wir bewegen uns in einem Bereich, den der Bund so akzeptieren kann“, sagte Grafe zu den bisherigen Planungen seiner Behörde. Vorgesehen sind demnach für die einstreifige „überregionale Landstraße“, die an zwei Stellen, zwischen Griebo und Heuweg, jeweils zwei 1350 Meter lange Überholstreifen bekommen soll, neun Brücken, darunter auch eine über die L 124 /Belziger Chaussee, und vier so genannte Knotenpunkte.
Dass die Knoten per Ampel - und nicht durch Kreisel - geregelt werden sollen, erregte den Widerwillen gleich mehrerer Zuhörer - „ein Kreisverkehr ist keine genehmigungsfähige Alternative“, erklärte Grafe mit Blick auf die Gesetzeslage. Einen Kreisel wird es allerdings doch geben, nämlich beim Zusammentreffen der Nordumfahrung mit der B2 bzw. der ebenfalls noch nicht existenten Ostumfahrung. Warum? Weil für dieses Vorhaben noch die alten Regeln galten, so Grafe.
Grafe zufolge wird sich auch am Streckenverlauf - mit Ausnahme einer notwendigen „Trassenoptimierung“ in der Teucheler Heide - nichts mehr ändern. Dort wie auch auf dem früheren Wasag-Gelände habe die seit 2014/2015 laufende und Mitte dieses Jahres abgeschlossene Baugrunduntersuchung Verhältnisse zu Tage gefördert, die eine „besondere Herausforderung“ darstellten. Es gebe hier aber „nichts, was uns nervös werden lässt“, sagte er wörtlich.
Einmal mehr verteidigte Grafe die umstrittene Brücke bei Griebo, die gleich mehrere Zuhörer auch diesmal wieder - als vermeintlich überflüssig und kontraproduktiv zur Entlastung der Dessauer Straße - aufs Tapet brachten. Die Ortsumfahrung Coswig/Griebo samt Brücke sei vielmehr die Voraussetzung für den Bau der Nordumfahrung. Mit der allmählichen Sichtbarwerdung der Nordumfahrung mehren sich unterdessen auch kritische Stimmen.
Individuelle Anliegen wie etwa der Lärmschutz und der Abstand zur Wohnbebauung standen auch beim „Stadtgespräch“ im Stadthaus im Zentrum der Publikumsdiskussion. Hier blieb die Landesstraßenbaubehörde konkrete Antworten jedoch vorerst schuldig, die „lärmschutzrechtliche Berechnung“ stehe noch aus, hieß es, sie sei für 2017 vorgesehen.
Mehr Verkehr in Belziger Chaussee und auf anderen Straßen erwartet
Grafe machte allerdings keinen Hehl daraus, dass es mit dem Bau der Nordumfahrung auch Verlierer geben werde. Eine höhere Verkehrsbelastung würden dadurch etwa Belziger Chaussee, Puschkin-, Feldstraße und auch der Neumühlenweg erfahren, sagte er. Bis zu 11.000 Fahrzeuge pro Tag sind für die neue Umgehungsstraße prognostiziert.
Ein Verlierer, soviel steht laut Landesstraßenbaubehörde schon heute fest, wird auch der Wittenberger Stadtwald sein. Das Erholungsgebiet soll von der Nordumfahrung zerschnitten werden, die Trasse orientiert sich in diesem Bereich an der bestehenden Hochspannungsleitung.
Dass die so genannte Fangzaunkartierung 2017 fortgesetzt wird, um die „faunistischen und floristischen Betroffenheiten“, wie es eine Behördenmitarbeiterin formulierte, möglichst gering zu halten, tröstete die Wald-Liebhaber keineswegs. „Der Stadtwald hat sich erledigt“, sagte einer. (mz)