Morgens planen, mittags basteln, abends spielen
WITTENBERG/MZ. - Irgendjemand hat von irgendwoher eine riesige Standuhr organisiert, die wird gerade auf die Bühne gehievt. Die Schauspieler sitzen in einem Stuhlkreis und überlegen sich die Texte. Bei Intendantin Ann-Kathrin Wojacki laufen alle Fäden zusammen. Sie geht von Gruppe zu Gruppe, schaut, ob alles in Ordnung ist. Aufgeregt ist sie nicht. "Wir schaffen das schon", sagt sie zuversichtlich.
Abends ein Theaterstück aufzuführen, von dessen Existenz man morgens noch gar nichts wusste - das klingt beinahe unmöglich. Dass es trotzdem funktionieren kann, bewiesen am Donnerstag Ann-Kathrin und ihre 26 Mitstreiter aus ganz Sachsen-Anhalt. Sie alle absolvieren derzeit ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Im Rahmen eines einwöchigen Seminars hatte Claudia Henske, Gruppenleiterin der FSJler, ein Experiment geplant: "Ein eigenes Unternehmen mit verschiedenen Hierarchien", erzählt sie. Dieses Unternehmen sollte ein Theater sein, mit Schauspielern, Kostümbildnern, Ton- und Lichttechnikern, Bühnenbauern.
Eine ganz wichtige Aufgabe hat an diesem Donnerstagmorgen das Team um Julia Trapp: Die Abteilung Marketing und Öffentlichkeitsarbeit legt gleich nach der Gruppenaufteilung los. Buntes Papier falzen, Einladungen schreiben, die Begrüßungsgetränke planen. "Hoffentlich schaffen wir das alles", zittert Julia um die Mittagszeit. Ihr Plan: Plakate an Schulen und Kindergärten aufhängen, die Wittenberger in der Fußgängerzone ansprechen. Denn es soll ja schließlich auch Publikum am Abend da sein. "Spätestens um drei müsst ihr rausgehen, damit die Leute sich auch zeitig genug entscheiden können, herzukommen", rät die Intendantin.
Was abends auf der Bühne geboten wird, ist eine moderne Version von "Der Wolf und die sieben Geißlein". Isegrim heißt hier "Herr Wolf", gespielt von Oliver Lorenz, der sich im richtigen Leben im Rettungsdienst in Magdeburg engagiert. Der klopft im Stück als charmanter Schürzenjäger an die Tür von Frau Geiß (Anke Pitschk). Die alleinstehende Altenpflegerin wohnt zusammen mit ihren sieben halbwüchsigen und ziemlich faulen Töchtern in einer Waldhütte. Während sie den Haushalt schmeißt, haben ihre Töchter nur Handys, gefeilte Fingernägel, Bücher und gelbe Quietscheentchen im Kopf. Das ändert sich, als Herr Wolf in ihr Leben tritt. Anders als im Märchen bringt der Wolf aber kein Chaos, sondern vielmehr Ordnung in das Leben von Familie Geiß, indem er die Mutter heiratet.
"Schade, dass die Premiere zugleich auch die Dernier war", sagt Claudia Henske nach der Vorstellung. Zu der waren nur eine Hand voll externer Gäste gekommen. "Es war eben doch ein wenig kurzfristig", meint Marketing-Chefin Julia. Sie hatte sich am Nachmittag in die Fußgängerzone gestellt und versucht, Passanten ins KTC zu locken. "Die meisten hatten keine Zeit", sagt sie. Dennoch - als vergebene Liebesmüh betrachten die FSJler ihr Projekt im Nachhinein nicht. "Pädagogisch sehr wertvoll", nennt es Ann-Kathrin.