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Menschenleben gefährdet? Menschenleben gefährdet?: Schrottauto erhält locker Gefälligkeits-Tüv

Von Michael Hübner 07.04.2017, 07:00
Der Ford Fiesta wird von der Dekra gründlich untersucht. Das Auto ist praktisch nur noch Schrott. Trotzdem hat es von einem Prüfer im Landkreis einen aktuellen Tüv erhalten. Wie das geht, klärt jetzt die Polizei.
Der Ford Fiesta wird von der Dekra gründlich untersucht. Das Auto ist praktisch nur noch Schrott. Trotzdem hat es von einem Prüfer im Landkreis einen aktuellen Tüv erhalten. Wie das geht, klärt jetzt die Polizei. Klitzsch

Wittenberg - Ein kleiner Zufall - der Motor läuft nicht rund - verhindert eine große Tragödie. Das gebraucht gekaufte Auto, über eine Internet-Plattform mit aktuellem Tüv - es soll ein Geschenk zum 18. Geburtstag der Tochter werden - wird so noch vor der Präsentübergabe in eine Werkstatt gefahren.

Die Kraftfahrzeugschlosser sind quasi die Schutzengel. Sie verhindern eine mögliche Katastrophe. Es wird dringend zur Kaufrückabwicklung geraten. Erstmals fallen Worte wie Betrug.

Prüfer: eine einzige Katastrophe

Doch das muss bewiesen werden - möglichst mit einem neutralen Gutachten. Und so inspizieren zwei Experten der Wittenberger Dekra das Fahrzeug. Sie schütteln bei der gründlichen Untersuchung des Ford Fiesta - Baujahr 1997 - immer wieder den Kopf und fluchen leise: „Das ist eine einzige Katastrophe“.

Die Polizei hat inzwischen gegen einen Prüfingenieur aus dem Landkreis Wittenberg und einen Autoverkäufer Ermittlungsverfahren eröffnet. Gegen den gleichen Kontrolleur laufe ein weiteres Strafverfahren mit identischen Vorwürfen. Eine erste Zeugenvernehmung hat es im aktuellen Fall bereits im Revier gegeben, erklärt Sprecherin Cornelia Dieke auf MZ-Anfrage.

In den kommenden Tagen sind weitere Vernehmungen geplant, erklärt die Sprecherin am Dienstag. Mit ersten Ergebnissen werde in der nächsten Woche gerechnet.

Im Kern geht es um die Frage, ob ein Auto mit defekten Bremsschläuchen unmittelbar vor dem Verkauf schnell noch einen Gefälligkeits-Tüv erhalten und damit Menschenleben gefährdet hat. Die Ermittler stehen nun vor der brisanten Frage: Wie kann ein Fahrzeug in so einem Zustand eine Hauptuntersuchung überstehen? „Jetzt werden erst einmal die Widersprüche in den Prüfberichten zweier Institute geklärt“, so Dieke zum Stand der Ermittlungen.

Das eine stammt eben von der Dekra und ist sehr detailliert. Die beiden Prüfingenieure - bewaffnet mit Taschenlampe und Kamera - halten alle Mängel akribisch fest. Eine A-4--Seite reicht nach einer 60-minütigen Inspektion dafür gerade noch aus.

Festgehalten werden unter anderem eine „scharfkantige Beschädigung der Stoßstange“, eine „lose Abgasanlage“ und nicht fachgerecht ausgeführte Schweißarbeiten. „Auch wir sind nur Menschen, machen Fehler und können mal was übersehen. Aber so viele Mängel nicht“, sagen die Prüfingenieure vor Ort zur MZ. Dabei ist selbst für Laien schon zu sehen, dass das Fahrzeug eigentlich durchfallen muss.

Die Reifen sind „rund“, abgefahren. Der Versuch, eine Profiltiefe zu ermitteln, ist zum Scheitern verurteilt. Doch das ist nicht das größte Problem. „Beide Bremsschläuche sind stark angescheuert. Bei der nächsten oder spätestens vierten Vollbremsung wäre es passiert“, schätzen die Dekra-Experten ein und empfehlen dem Eigentümer die Verschrottung des Fahrzeugs.

Im Protokoll der offiziellen Hauptuntersuchung - wenige Tage zuvor in einer „Anerkannten Werkstatt“ im Landkreis vor dem Verkauf des Autos erstellt - werden lediglich „geringe Mängel“ registriert. Das zweite Institut stellt für das mutmaßlich krasse Fehlurteil die obligatorischen 72 Euro in Rechnung. Wahrscheinlich wird aber ein kleines Aufgeld kassiert.

Fakt ist, das Auto wird ursprünglich ohne Tüv angeboten. Mit der Hauptuntersuchung erhöht sich der Kaufpreis plötzlich um 200 Euro. Sind also 128 Euro zusätzlich für den Tüv. Ob dazu das Fahrzeug jemals in Augenschein genommen wird, gehört noch zu den offenen Fragen.

Das alles klingt zwar nach einer Bagatelle, kann aber schlimme Folgen haben: Prüfingenieure, die Autos mit schweren Mängeln gegen Geld auf die Straße lassen, spielen mit dem Leben von Verkehrsteilnehmern. Werden sie ertappt, drohen harte Strafen. So schickte das Stuttgarter Landgericht einen Prüfingenieur, der seine Hand aufgehalten hat, für vier Jahre ins Gefängnis.

Schuld nur beim Verkäufer?

Es geht eindeutig um Straf- und nicht um Zivilrecht. Diesen Ernst der Lage haben die Angezeigten noch gar nicht begriffen. Sie gehen lediglich von einer Reklamation aus und schreiben: „Für Schadensersatzansprüche muss ein Vorsatz zu einer Pflichtverletzung nachgewiesen werden.“

Dabei wird das Dekra-Gutachten von den ersten Prüfern nicht in Zweifel gezogen. „In wieweit dieser Zustand mit dem Zustand des Fahrzeuges zum Zeitpunkt der Hauptuntersuchung durch unseren Prüfingenieur übereinstimmt, lässt sich nicht abschließend klären“, heißt es.

„Technisch lässt sich feststellen, dass lediglich die vorderen Bremsschläuche Anlass zu Diskussionen über deren Zustand und Erkennbarkeit im Rahmen der Hauptuntersuchung geben“, schreiben die „Prüfer“ und geben noch einen Tipp: „Der Verkäufer des Fahrzeugs ist Ihr Ansprechpartner.“

Das ist zwar ein besonderer Fall für die Kripo, aber Tüv-Betrug gehöre zum Alltag der Polizeiarbeit, verrät ein Ermittler. Dabei gehe es aber um gestohlene Autokennzeichen. Die Tüv-Plaketten werden dabei von den Dieben besonders begehrt. (mz)

Sehr gefährlich: Die Bremsschläuche im Ford sind beschädigt.
Sehr gefährlich: Die Bremsschläuche im Ford sind beschädigt.
Klitzsch