Menge macht auch «öko» preiswert
Zahna/MZ. - In der Zentrale
Es ist der Tag, an dem der Winter den Leuten im Landkreis Wittenberg noch einmal so richtig zeigt, was 'ne Harke ist. Aufgeplustert hockt der Schnee auf den Bäumen, Dächern, Beeten. Willkommen im Winterwunderland. Hier in der Rahnsdorfer Straße gleich hinter dem Bahnhof von Zahna hat es der Winterdienst an diesem Vormittag noch nicht einmal versucht (wenige Stunden später hat sich die Sache dank Plus-Graden dann ja auch von selbst erledigt). Eine schwarze Katze schnürt, leicht angewidert vom kalten Weiß, durch den Garten vor dem schönen alten Haus, in dem Schicketanz mit seiner Familie wohnt. Das ist die Zentrale der "Einkaufsgemeinschaft Zahna".
Die Geschichte beginnt vor zehn Jahren, als eine Handvoll Familien aus dem Landkreis Wittenberg, denen es wie den Schicketanz' nicht egal ist, was sie essen und wie und wo diese Lebensmittel produziert werden, sich zusammentun, um ihre Bio-Lebensmittel nicht mehr einzeln etwa aus Berlin herbeischaffen zu müssen. Am 1. April 1996 wird in Zahna die erste Lieferung verteilt. Heute gehören der Einkaufsgemeinschaft statt dem halben Dutzend von 1996 bereits 60 Mitglieder an, wobei die Zahlen "damals getäuscht haben und auch heute täuschen", wie Michael Schicketanz erklärt. Etwa "300 Menschen", schätzt er, essen von dem, was in Zahna und Wittenberg - weitere Verteilstellen sind in Geltow bei Potsdam und Leipzig - angeliefert und von den Endverbrauchern abgeholt wird.
Zum Einkaufspreis
Das Prinzip Einkaufsgemeinschaft ist einfach: Wenn mehrere Leute zusammen und damit also größere Mengen bestellen, ist auch Öko-Essen preiswerter zu haben. Verkauft wird grundsätzlich zum Erzeuger- respektive Einkaufspreis, wobei sich der derzeitige Mitgliedsbeitrag von 90 Euro pro Jahr logischerweise desto mehr rentiert, je mehr man bestellt.
Im großen Wohnzimmer über dem Warenlager, wo über den schlichten Regalen und Kisten alter Stuck die Decke ziert, klappt Michael Schicketanz ein imposantes, sehr historisch aussehendes Abrechnungsbuch auf. Er sucht eine exakte Antwort auf die Frage, wer denn nun von Anfang an dabei war. Das Buch selbst stammt noch von seinem Großvater und hat im zehnten Jahr der Einkaufsgesellschaft natürlich längst ausgedient. Laptop und Internet heißen auch in der Öko-Branche die Helfer im Geschäft. "Das muss man gesehen haben." Schicketanz meint die "halbautomatische Rechnung" per Mail. Schwupps, klappt den Laptop auf. Farbig markierte Reihen und Spalten, darin Unmengen von Posten, Mengen, Preisen. Mmmh. "Mein Mann macht aus allem eine Statistik", kommentiert Kerstin Schicketanz, die Ehefrau. Na ja, schaden kann das ja nicht. So lässt sich auch erfahren, dass die beiden zusammen etwa 100 Arbeitstage in die Einkaufsgemeinschaft stecken.
Seit drei Jahren ist Kerstin Schicketanz ganz offiziell, sprich professionell mit von der Partie. Es war eine der ersten Ich AG im Landkreis und sie entstand, als just zur Weihnachtszeit die Einkaufsgemeinschaft das erreicht hatte, was man "kritische Größe" nennen kann. Alle Welt, erinnert sich Michael Schicketanz, brauchte plötzlich Sachen für die Weihnachtstafel. "Dabei wollte ich doch eigentlich Advent machen". Seither liegt der Service-Bereich komplett in den Händen von Kerstin Schicketanz.
Extra-Wurst aus Thießen
Um 20 Prozent, verrät die Statistik von Michael Schicketanz weiter, ist der Umsatz zwischen 2004 und 2005 gestiegen. In Wittenberg sei eine weitere Verteilstelle geplant. Man kann die Größe der Einkaufsgemeinschaft auch in Kartoffeln ausdrücken. Immerhin drei Tonnen wurden 2005 verteilt. 95 Prozent der Produkte sind Lebensmittel, aber auch Bio-Wandfarbe wird den Angaben zufolge gern genommen. Neben den Artikeln, die zentral von einem Berliner Großhändler bezogen werden, ist die Einkaufsgemeinschaft natürlich auch ein Abnehmer für regionale Produkte. Das gilt etwa für die Eier, das Fleisch - das liefern die zotteligen Highlands aus einem Dorf bei Falkenberg - und Wurst. Die Wurstkonserven aus Thießen wurden und werden sogar extra für die Einkaufsgemeinschaft Zahna hergestellt. Kurios ist die Sache mit dem Bier. Das kam erst aus Gommern, dann ging die Brauerei pleite, dann aus Chorin, dito. Jetzt sind sie Kunde einer Brauerei in der Altmark - und hoffen das Beste.
Planung muss sein
Weniger als durch den Preis (tatsächlich hält man sich in diesem Punkt für durchaus konkurrenzfähig) unterscheide sich die Bestellung in der Einkaufsgemeinschaft in der Art und Weise vom Einkauf im konventionellen Handel. Michael Schicketanz fasst es so zusammen: "Man muss ein bisschen mehr arbeiten", mal mit auspacken in der Verteilstelle etwa, und man müsse auch planen. Denn verteilt wird die Ware in der Regel nur alle vier respektive zwei Wochen.
Eigentlich, erläutert Michael Schicketanz und wirkt ziemlich zufrieden, "gibt es nur zwei Gründe", die Einkaufsgemeinschaft zu verlassen: "Wegzug und Scheidung". Wobei letztere vor allem das Verhalten der männlichen Kundschaft verändere. Der einsame Mann isst nicht mehr, der kauft allensfalls noch "mal ein Nussmus". Auch unter Öko-Essern ist die Welt nicht heil.