Mediziner-Tagung in Wittenberg Mediziner-Tagung in Wittenberg: Weniger ist mehr

Wittenberg - Fünf Gramm Salz. Mehr sollte ein Mensch pro Tag nicht konsumieren, das empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation. Die Realität ist eine andere, allein in Mitteldeutschland sind es nach Angaben von Peter Jehle zehn bis 20 (!) Gramm, die täglich verzehrt werden. Die Folgen sind gravierend, das Risiko, beispielsweise an Bluthochdruck zu erkranken oder einen Schlaganfall zu erleiden, steigt.
Milliarden sparen
Jehle ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I im evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg. Außerdem ist er leitender Arzt des örtlichen Nierenzentrums für Dialyse und Nierentransplantation. Am Freitag und Sonnabend fand unter seiner Präsidentschaft im Stadthaus von Wittenberg die 27. Jahrestagung der Gesellschaft für Innere Medizin Sachsen-Anhalt (IMSA) statt.
Es gab Vorträge zu praktisch allen relevanten Erkrankungen dieses Fachgebietes. Ein Thema war die aktuelle Ernährungsmedizin und der Verzehr von Kochsalz. Jehle fordert eine Deklarationspflicht bei Lebensmitteln.
Was insoweit im Ausland schon geht (exemplarisch nennt Jehle Portugal), lässt sich offenbar in Deutschland schwer oder gar nicht umsetzen. Ein Grund dafür sei, dass „bei uns die Reparaturmedizin viel stärker ausgeprägt ist als die Präventivmedizin“, sagt Jehle zur MZ und verweist im Hinblick auf die Deklarationspflicht auch auf Beispiele aus anderen Ländern, wo jene, die die Werte nicht einhalten, mit „Strafzöllen“ rechnen müssten. Der Medizinprofessor betont: „Würden wir die Kochsalzempfehlungen umsetzen, könnten pro Jahr mehrere Milliarden Euro gespart werden.“
Die Gesellschaft für Innere Medizin Sachsen-Anhalt besteht seit 27 Jahren. Sie ist eine gemeinnützige Vereinigung von Fachärzten für Innere Medizin und Ausbildungsärzten und versteht ihre Aufgabe in der Vermittlung neuer Kenntnisse in Theorie und Praxis sowie der Förderung eines breiten Erfahrungsaustausches auf den Gebieten der Inneren Medizin. Derzeitiger Vorsitzender ist der Wittenberger Chefarzt Peter Jehle, der die jüngste Jahrestagung im Stadthaus von Wittenberg ausgerichtet hat. Weil die Gesellschaft auch zukünftige und junge Ärzte ansprechen wolle, habe man in diesen Kongress wieder klinische Workshops zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung integriert, heißt es in Jehles Grußwort an die Teilnehmer. Diese hatten zudem Gelegenheit, sich durch die benachbarte Franziskanerklosterkirche führen zu lassen. Darüber hinaus habe man das 360-Grad-Panorama „Luther 1517“ des Künstlers Yadegar Asisi besucht. Die nächste Jahrestagung findet im November 2019 in Halle statt.
Zum umfangreichen Tagungsprogramm gehörten Vorträge beispielsweise zu neuen Leitlinien bei der Blutdruckeinstellung, aus der Lungenheilkunde oder über das Karzinom der Bauchspeicheldrüse. Bei letzterem gebe es die „Chance auf eine Verbesserung der Prognose“. Anders gesagt: Im Idealfall kann sich die Überlebenszeit verlängern. Lokale Referenten waren neben Jehle die Chefärzte Ingo Nietzold und Franz X. Kleber, diese hätten ihn auch sonst unterstützt.
Ein Jahr, so Jehle, habe er das Programm geplant für diese Jahrestagung, die insgesamt 197 Teilnehmer zählte: Neben Internisten waren dies auch Medizinstudenten oder Mitglieder von Selbsthilfegruppen. Die Kongresse fanden bisher in anderen Städten, unter anderem in Magdeburg und Dessau statt. Jehle, derzeitiger Vorsitzender der Fachgesellschaft, hat die 27. Auflage der Jahrestagung auch deshalb nach Wittenberg geholt, um auf die Bedeutung der Stadt als Kongressstandort hinzuweisen.
Zudem sei das Stadthaus „die ideale Bühne“. Und es gehe darum, an Wittenbergs medizinhistorische Bedeutung zu erinnern. Grundgedanke der Jahrestagung sei es, „ein attraktives regionales Forum zum kollegialen Austausch von aktuellen Entwicklungen in Diagnostik und Therapie auf dem Gebiet der Inneren Medizin mit ihren vielfältigen Schwerpunkten anzubieten“, heißt es zum Anliegen. In den Kongress integriert waren auch klinische Workshops.
Gemeinsame Strategien
Um noch einmal auf den erwähnten übertriebenen Genuss von Kochsalz zu kommen: Besonders viel davon taucht Jehle zufolge in Brot, Fleisch, Käse und Wurst auf. Wer dann noch die Tomate und Gurke salzt, kommt schnell auf das Zwei- bis Dreifache der empfohlenen Tageshöchstdosis. Gemeinsam mit Medizinstudentinnen aus Halle hat Jehle eine Arbeit zum Thema verfasst, darin auch Martin Luther zitiert wird, der gesagt habe: „Es soll keiner einen für seinen vertrauten Freund halten, er habe denn zuvor einen Scheffel Salz mit ihm gegessen.“
Fraglich bleibe, ob dies noch zeitgerecht ist, so die Autoren, die ebenfalls auf die „relativ strengen Salzkonsumempfehlungen der WHO“ von fünf Gramm pro Tag verweisen. „Aus unserer Perspektive ist die Entwicklung einer gemeinsamen Lösungsstrategie bezüglich eines zu hohen Salzkonsums in Deutschland durch Medizin, Forschung und Politik unaufschiebbar“, heißt es. Allerdings seien noch weitere Studien nötig, „um die genauen Zusammenhänge zwischen Salzkonsum und kardiovaskulären Erkrankungen zu klären“.
Während es dort also noch Klärungsbedarf gibt, steht für Jehle eins fest: Die Tagung war ein Erfolg. Dies gelte auch für das gewählte Format, denn in Wittenberg hätten sie, was andere auf vier Tage verteilen, konzentriert an zwei Tagen behandelt. (mz)