Luthergarten Luthergarten: Bundespräsident Gauck enthüllt "Himmelskreuz" in Wittenberg

Wittenberg - Gegen 16.20 Uhr am Mittwoch eilt Richard Thomas aus dem Luthergarten heraus und in Richtung Weberhof. In der Hand hält der Wittenberger Stadtrat (Freie Wähler) eine Reliquie. Er nennt das Stück Stoff selber so, es stammt von jenem weißen Band, an dem Bundespräsident Joachim Gauck gerade bei der Enthüllung des „Himmelskreuzes“ im Zentrum der großen Lutherrose des Gartens gezogen hat. „So was lässt man nicht liegen“, sagt Thomas und auch, dass er es demnächst der Evangelischen Grundschule in Wittenberg überlassen wolle.
„Unverzichtbarer Partner“
Die Enthüllung der Installation vom Künstler Thomas Schönauer ist für Gauck zugleich der Schlusspunkt seiner Stippvisite in Wittenberg; an der Halleschen Straße warten schon die Limousinen. Bereits um 14 Uhr hat Gauck bei einem Gottesdienst zur Eröffnung der Ratstagung des Lutherischen Weltbundes (LWB) ein Grußwort gesprochen.
Es ging dabei auch um sein Lebensthema, die Freiheit (gepaart mit Verantwortung). Und er, selbst Theologe, würdigte das Engagement des LWB. Dass dieser inzwischen weltweit 1,3 Millionen Flüchtlinge betreue und zum „unverzichtbaren Partner“ des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen geworden ist, etwa im Nordirak, im Sudan, in Zentralafrika und in Burundi, „das alles beeindruckt mich sehr“, so Gauck in Luthers einstiger Predigtkirche.
Die Predigt an diesem Mittwoch hielt der Schweriner Landesbischof und Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees des LWB, Gerhard Ulrich. Liturgisch sehr schön gestaltet haben den Gottesdienst im Zusammenwirken mit Bläsern, Schlosskirchenkantor und einer Sopranistin die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, und Stadtkirchenpfarrer Johannes Block.
Anlässlich des Reformationsjubiläums entsteht seit Jahren in den Wittenberger Wallanlagen der Luthergarten. Insgesamt werden dort und an Korrespondenzorten bis 2017 500 Bäume gepflanzt, für die Kirchen aus aller Welt und aller Konfessionen Patenschaften übernehmen. Im Zentrum des Gartens befindet sich die Lutherrose und nun an der Stelle, wo bislang eine Steinschüttung das Kreuz symbolisierte, das „Himmelskreuz “ von Thomas Schönauer. Schönauer, Jahrgang 1953, beschäftige sich mit der Illusion von Schwere und Leichtigkeit. Typisch für ihn sind u. a. lackierte Stahlskulpturen.
Schönauers Arbeit für Wittenberg besteht aus drei Kreuzen. Das am Boden liegende, aus rostigem Cortenstahl gefertigt von der Firma Henschel Metallbau aus Tornitz, erzähle, so der Direktor des LWB-Wittenberg-Zentrums Hans W. Kasch in einer Mitteilung, auch von Bodenhaftung und Erdverbundenheit. Die vom Boden wegstrebenden Kreuze aus Aluminium folgen formal den gen Himmel wachsenden Bäumen. „Sie versinnbildlichen die himmlische Dimension des Seins.“
Nach Auskunft des Geschäftsführers vom Deutschen Nationalkomitee des LWB, Norbert Denecke, belaufen sich die Gesamtkosten für das Kunstprojekt auf „250.000 Euro plus“. Auf etwa 50.000 Euro beziffert er das „Kirchengeld“, weitestgehend werde die Arbeit durch Sponsoren (u. a. Aluminium Rheinfelden GmbH, Stiftung Lebendige Stadt) finanziert. Mit einem nicht unbeträchtlichen Teil ist die Stadt Wittenberg beteiligt - für die Oberflächengestaltung. Bürgermeister Jochen Kirchner zeigte sich mit dem Gesamtergebnis zufrieden. Er sprach von einem „Alleinstellungsmerkmal“ für den Luthergarten. Und davon, dass es für Wittenberg „schön“ sei, Gastgeber für die LWB-Ratstagung zu sein. (mz/cni)
Es war ein Abendmahlsgottesdienst und - zumindest gefühlt - sind alle Besucher zum Altarraum vorgestrebt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und seine Frau freilich nicht, sie sind katholisch und mag auch die Ökumene Fortschritte machen, so ist es bis zur Feier des gemeinsamen Abendmahls noch ein Stück Weg.
Öffentlicher Gottesdienst
Dass der Gottesdienst öffentlich war, hatte sich nicht überall herumgesprochen. Eine ältere Dame, Liselotte Degenkolb aus Augsburg, ging fest davon aus, nicht eingelassen zu werden. Während am Südportal schon die Taschen der Eintretenden kontrolliert wurden und im benachbarten Bugenhagenhaus noch die Sicherheitschecks für Foto- und Filmjournalisten liefen, stand Degenkolb auf dem Kirchplatz und freute sich trotzdem.
Über diesen „schönen Zufall“, dass ausgerechnet, wenn sie mit ihrem Mann, übrigens einem Pfarrer, in Wittenberg ist, der Bundespräsident zu Besuch kommt. Der wird um 15.40 Uhr im Auto vor dem Luthergarten vorgefahren, alles andere, respektive ein Spaziergang übern Marktplatz, hätte den Tross vermutlich zu sehr aufgehalten.
An der Lutherrose herrscht zu diesem Zeitpunkt bereits reger Andrang hinter der Absperrung - und davor. Noch ist Schönauers Werk, das er für den vom LWB, der vor Ort das von Pastor Hans W. Kasch geleitete Wittenberg-Zentrum betreibt, initiierten Luthergarten schuf, verhüllt.
Wobei der Aufbau unter den Augen der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Von einem „Doppeldecker“ war da schon mal die Rede und dass auf dem Entwurf alles viel filigraner aussah. Das habe an der Perspektive gelegen, von der aus man seinerzeit in den Luthergarten hinein fotografiert habe, erklärte am Rande Bernhard Bramlage auf MZ-Nachfrage.
Keine Generalprobe
Bramlage hat als Architekt die Entstehung des Himmelskreuzes sowie dessen Errichtung begleitet. Der Entwurf sei exakt umgesetzt worden. Und was den Vergleich mit einem Flugzeug betreffe, so sei der gar nicht abwegig, schließlich habe Schönauer die einzelnen Teile „wie ein Tragwerk oder wie einen Schiffsrumpf konstruiert“.
Zum Architekten hatte sich Dittmar Machule von der Stiftung Lebendige Stadt gesellt, die das Projekt mitgefördert hat. Für Machule sei die neu gestaltete Lutherrose mit dem „Himmelskreuz“ wie ein „Altar im Außenraum“.
Um 16 Uhr begann schließlich - nach kurzen Reden und freundlichen Worten, auch vom Künstler - „der schwierigste Akt“, wie es Norbert Denecke nannte: die Enthüllung nämlich. Dazu mussten 190, von Annette Glaubig vom Wittenberg-Zentrum des LWB vernähte laufende Meter Futterstoff mit einem Gewicht von 20 Kilogramm vom Himmelskreuz gezogen werden.
Erst Mittwochvormittag waren die Stoffbahnen über die beiden schwebenden Kreuze gelegt worden, eine Generalprobe gab es nicht. Doch hat dann alles prima geklappt. Drei Zugbänder gab es und vier die zogen: Joachim Gauck, der LWB-Präsident Munib Younan und Martin Junge, LWB-Generalsekretär, bekamen Unterstützung vom Ministerpräsidenten.
Und dann blieben ein paar Stoffreste liegen, aus denen sich Stadtrat Thomas seine kleine Reliquie zog. Über das Kunstwerk selbst sagte er, er finde es „wunderschön - moderne Architektur in einer Gartenlandschaft“. (mz)