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Luther-Eiche in Wittenberg Luther-Eiche in Wittenberg: Historische Eichel-Geschäfte

Von Irina Steinmann und Karina Blüthgen 17.10.2016, 06:35
Eine Eichel
Eine Eichel Symbolfoto/MZ

Wittenberg - Der vom Ideengeber CDU-Stadtratsfraktion selbst nur schmallippig vorgebrachte Vorschlag, die Früchte der Luthereiche zu ernten und 2017 zu vermarkten, lässt bei anderen prachtvolle Erinnerungen sprießen. Ein MZ-Leser, der - mutmaßlich zur Wahrung des Familienfriedens - nicht namentlich genannt werden möchte, berichtete jetzt von einem Vorgang aus den 1980er Jahren, in den er ahnungslos selbst verwickelt war.

Es handelt sich um eine frühe Fingerübung in freier Marktwirtschaft: Seine beiden heranwachsenden Kinder waren im Umfeld des Reformationstages auf den Trichter gekommen, die Eicheln an Touristen zu verhökern. Zu diesem Zweck hatten sie - was, wie der Mann berichtet, zuvor noch nie vorgekommen war - um ein eigenes Beet im Familiengarten gebeten. Um die 150 prächtige Schösslinge wuchsen so heran und brachten den geschäftstüchtigen Kindern ahnungsloser Eltern am Ende neben DDR-Mark auch Devisen ein. „Gulden, Dollar, D-Mark“, erinnert sich der Vater - der davon erfuhr, als eine entsprechende Schatzdose nach der Wende wieder ausgegraben wurde.

Die cleveren Kiddies hatten seinerzeit nur die DDR-Mark herausgerückt, nachdem ein „netter Herr“ die Familie dazu aufgefordert hatte. Wirklich lustig sei die Sache seinerzeit freilich nicht gewesen. „Das hätte auch ins Auge gehen können“, meint der Vater. Jedenfalls sei er in der Angelegenheit zu seinem Chef bestellt worden.

Aus den Kindern sind übrigens keine Geschäftsleute geworden, aber sie haben sich auf andere Weise sehr ordentlich und zum Wohlgefallen der Eltern entwickelt. Wie auch mindestens eines der „Kinder der Luthereiche“ aus DDR-Zeiten: Das Bäumchen soll heute im Hof einer evangelischen Gemeinde in Innsbruck stehen.

Noch frühere Bestrebungen, aus den Eicheln Setzlinge zu ziehen, kamen bereits mit der schweren Beschädigung der Luthereiche 1904 auf. Da der Baum von einem Vandalen (der übrigens nie ermittelt wurde) stark angesägt worden war und niemand wusste, ob er eingehen würde, hatten die Mitglieder des Gustav-Adolf-Frauenvereins in Wittenberg die Idee, in der Folgezeit Eicheln zu sammeln und Setzlinge zu ziehen.

Diese Bäumchen wurden, so berichtete 1909 eine Tageszeitung, für eine Mark das Stück - ohne Porto - verkauft. „Solch Luthereichenbaum, vor Pfarrhäusern, Anstaltsgebäuden, Kirchhöfe u. ähnl. eingepflanzt, gibt Anlaß zu manchem guten evangelischen Worte“, hieß es seinerzeit. Das eingenommene Geld floss übrigens in ein bedeutendes Projekt.

Der Verein in Wittenberg hatte sich nämlich mit solchen in anderen Städten bereit erklärt, die Glocken für die deutsche evangelische Kirche in Rom zu stiften, dafür wurden auch die Einnahmen von den Setzlingen verwendet. Noch heute wird stolz vermerkt, dass die Glocken der Christuskirche in Rom das gleiche Geläut wie die Glocken der Wittenberger Schlosskirche haben. (mz)