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Kunstraub-Krimi Kunstraub-Krimi: Das Rätsel der Cranach-Altarflügel von Klieken

Von Alexander Schierholz 02.03.2013, 20:45
Die Seitenflügel des Kliekener Altars haben vier Ansichten: Außen die Heilige Genoveva und der Erzengel Gabriel, innen die Geburt Marias und die Begegnung von Joachim und Anna, Marias Eltern, vor der Goldenen Pforte am Jerusalemer Tempel.
Die Seitenflügel des Kliekener Altars haben vier Ansichten: Außen die Heilige Genoveva und der Erzengel Gabriel, innen die Geburt Marias und die Begegnung von Joachim und Anna, Marias Eltern, vor der Goldenen Pforte am Jerusalemer Tempel. dpa Lizenz

Klieken/MZ - Eigentlich will Johannes Erichsen nur eben etwas essen an jenem schönen Julitag 2007 in Bamberg. Doch als der Kunsthistoriker aus München vor dem Schaufenster eines Antiquitätenhändlers in der Altstadt stehenbleibt, ist es mit seiner Mittagspause vorbei. Sein Blick fällt auf zwei Altarbilder, etwa einen Meter mal 40 Zentimeter groß. „Sieht aus wie ein früher Cranach“, schießt es Erichsen durch den Kopf: „Die habe ich doch schon mal gesehen.“ Der Cranach-Experte ist elektrisiert.

Ein Vergleich mit alten Fotos bringt Gewissheit: Bei den beidseitig bemalten Tafeln aus dem Bamberger Schaufenster handelt es sich um Altarbilder aus der Werkstatt von Lukas Cranach dem Älteren. Irgendwann zwischen dem 12. und 17. Mai 1980 wurden sie aus der Dorfkirche von Klieken bei Roßlau gestohlen. Bis zu jenem Tag im Juli 2007, an dem sie in Bamberg zufällig entdeckt werden, galten die Tafeln als unauffindbar. Dann geht alles ganz schnell: Erichsen verständigt das bayerische Landeskriminalamt. Die Bamberger Kripo stellt die Altarflügel sicher.

Erst jetzt, mehr als 30 Jahre nach einem der spektakulärsten deutschen Kunstraube, schließt sich der Kreis: Am 24. März werden die Bilder nach ihrer sorgfältigen Restaurierung endgültig in die Kliekener Kirche zurückkehren. 2009 waren sie schon einmal für einen Tag dort zu sehen, anschließend begann die Kirchensanierung. Doch wo die Tafeln in all den Jahren seit dem Diebstahl abgeblieben sind, das ist bis heute nicht vollständig geklärt.

Die Uran-Legende

Der Kunsthändler, bei dem Erichsen die Bilder entdeckt, hat sie aus dem Nachlass einer Frau erworben, die sie 1990 ersteigert hatte, beim Bamberger Auktionshaus Sebök. Dort waren sie von einem Mann aus Jena eingeliefert worden. Und da verliert sich die Spur.

Dem Bamberger Auktionator Johann Sebök stellt sich der Jenaer Ingenieur damals als Projektant der Wismut vor, der die Altartafeln Ende der 1970er Jahre aus einem Dorf sichergestellt haben will, das dem Uranbergbau weichen sollte. An Details der Begegnung erinnert sich Sebök heute nicht mehr so genau. Doch Bedenken, das weiß er noch, hat er nicht gehegt. „Es gab keinen Grund für mich, daran zu zweifeln, dass alles mit rechten Dingen zugeht.“ Der Mann aus Jena habe ihm seinen Ausweis gezeigt. Und überhaupt, sagt Sebök, „wenn der ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, hätte er doch andere Wege gesucht, um die Bilder loszuwerden.“ Andere Wege als eine öffentliche Auktion. Sebök nimmt die Tafeln auf die Titelseite des nächsten Auktionskataloges und setzt sie mit rund 4 500 D-Mark an. Für mehr als das Doppelte wechseln sie schließlich den Besitzer.

Die Uran-Geschichte ist eine Legende, wie man heute weiß. Ein „Fantasieprodukt“, sagt Hans-Justus Strümpfel. Der Theologe, in den 1970er und 1980er Jahren Pfarrer in Klieken und fünf Nachbardörfern, erfährt als einer der ersten von dem Diebstahl, den der damalige Kirchenälteste am 17. Mai 1980 bei einem Rundgang entdeckt. Vom Pfarramt im fünf Kilometer entfernten Zieko ist er mit seinem grauen Trabant-Kombi noch schneller am Tatort als die Kripo aus Roßlau. Doch wie sich herausstellt, haben der oder die Täter keine verwertbaren Spuren hinterlassen. „Wir fanden ein Fenster eingedrückt und den Abdruck eines Turnschuhs auf dem Altartuch“, erinnert sich Roßlaus damaliger Chef-Kriminalist Peter Tiedens. „Das war alles, was wir hatten.“ Auch der Einsatz eines Fährtenhundes erweist sich als erfolglos.

Die kleine Fachwerkkirche steht am Ortsrand von Klieken, umgeben vom Friedhof. Dahinter fällt das Gelände in die Elbaue ab. Bis zur A 9 sind es keine zwei Kilometer. So klammern sich die Ermittler an die These, die Altarbilder seien via Autobahn in den Westen gebracht worden.

Hans-Justus Strümpfel ist ein wortgewaltiger Mann, der sich nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen lässt. Gegenüber den Behörden hält er als Pfarrer nicht mit seiner Meinung hinterm Berg. „Ich habe angeregt, doch Interpol einzuschalten“, erinnert er sich. Doch zur Antwort habe er immer nur bekommen: „Unsere Kundschafter an der unsichtbaren Front sind tätig.“ Gemeint ist wohl die Staatssicherheit. Schnell zieht der Geheimdienst die Ermittlungen an sich. „Wir hatten mit dem Fall nichts mehr zu tun“, sagt Tiedens, „wir durften nur noch Räume, Technik und Autos stellen.“ Gewurmt hat den Kripochef das damals nicht. „Ich war froh“, sagt er, „das war ja hochbrisant, ging bis nach Berlin.“ Doch die Ermittlungen verlaufen im Sande.

Erst 2007, nachdem die Bilder in Bamberg entdeckt worden sind, nehmen das bayerische Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Bamberg die Spur wieder auf - um den Fall ein halbes Jahr später endgültig zu den Akten zu legen. Der Diebstahl ist verjährt, Hehlerei nicht nachzuweisen. Was folgt, ist ein juristisches Tauziehen. Die Landeskirche Anhalts und der Antiquitätenhändler, in dessen Schaufenster Kunsthistoriker Erichsen die Bilder 2007 entdeckt hat, beanspruchen sie jeweils für sich. Am Ende einigt man sich auf eine Entschädigung für den Händler. De facto ist es ein Rückkauf, den die Kirche nur mit finanzieller Hilfe des Landes und der Kulturstiftung der Länder stemmen kann. Über den Preis vereinbaren die Beteiligten Stillschweigen. Eingeweihte sprechen von einer höheren fünfstelligen Summe.

„Das ist wie ein Wunder“

Für die Kirchgemeinde sei die Rückkehr der Bilder „ein großes Geschenk“, sagt Pfarrer Strümpfel, der mittlerweile Rentner ist. Am 24. März ist ein Festgottesdienst in der Kirche geplant, die zwischenzeitlich fast vollständig restauriert, mit einer Alarmanlage und Sicherheitstüren ausgerüstet worden ist. „Jetzt wird nach langer Zeit wieder zusammengefügt, was zusammengehört“, freut sich Christa Müller. Seit zwölf Jahren führt die 76-Jährige Besucher durch das Gotteshaus, ebenso lange gehörte sie dem Gemeindekirchenrat an. Die Heimkehr der Altarflügel ist für sie „wie ein Wunder“.