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Kunst nach 1945 Kunst nach 1945: Neue Ausstellung eines Wittenberger Sammlers

Von Corinna Nitz 21.09.2019, 05:54
Die zentrale Eröffnung der dreiteiligen Ausstellung fand im Alten Rathaus statt. Schirmherr der Schau ist Ministerpräsident Reiner Haseloff.
Die zentrale Eröffnung der dreiteiligen Ausstellung fand im Alten Rathaus statt. Schirmherr der Schau ist Ministerpräsident Reiner Haseloff. Tony Rzehak

Wittenberg - Gerd Gruber war 15, als seine Klasse eine Hausarbeit über bildende Künstler schreiben sollte. Während den meisten seiner Mitschüler verstorbene Vertreter der Zunft vorgegeben wurden, sollte er sich mit Lea Grundig auseinandersetzen. Die Malerin und Grafikerin war zu diesem Zeitpunkt um die 60, sie lebte in Dresden. Gruber schrieb sie an - und bekam nicht nur Antwort, sondern eine Skizze dazu. Sie wurde der Grundstein für seine Sammlung.

Ein paar Jahrzehnte später ist diese Sammlung auf über 10000 Werke von zum Teil international bekannten und gefeierten Künstlern wie Chagall, Grieshaber oder Picasso angewachsen. Bereits 2006 wurde sie wie berichtet als einzige Privatsammlung Sachsen-Anhalts in das Gesamtverzeichnis national wertvollen Kunstgutes in Deutschland aufgenommen. Jetzt hat Gruber die Kollektion wieder geöffnet und gut 200 Werke von 159 Künstlern aus 25 Ländern zur Verfügung gestellt, für eine Ausstellung, die unter dem verbindenden Titel „Kunst nach 1945“ an drei Orten in Wittenberg zu sehen ist. Zur zentralen Eröffnungsveranstaltung kürzlich im Alten Rathaus war auch der Schirmherr der Schau, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), gekommen.

Ein Mann mit Mission

Es sei, so Haseloff, eine Freude, dass diese Schau zustande gekommen ist, natürlich vor allem wegen der Besonderheit der Sammlung. Diese sei im 30. Jahr der Wiedervereinigung „ein kultureller Höhepunkt“. Davon abgesehen kenne er Gruber schon seit 37 Jahren, noch aus Stickstoff-Zeiten, sie waren einmal Kollegen. Schon damals habe man gewusst, dass Gruber nicht nur ein „akribischer Sammler“ ist, sondern eine Mission habe, „bestimmte Dinge zu sichern“ und ein besonderes Kapitel in der Kunst „zu bewahren“.

Kennzeichnend für diese Kunst nach 45 ist die Beschäftigung mit den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und/oder mit dem Horror des zweifachen Atombombenabwurfs über Japan. Weltweit wurden Netzwerke geknüpft und nach Antworten mit künstlerischen Mitteln gesucht, so die Kuratorin der Schau, Ulrike Brinkmann. Kenntnisreich führte die in Leipzig lebende Kunsthistorikerin in die Ausstellung ein und erinnerte sowohl zur Vernissage als auch in einem neuen Bestandskatalog zur Sammlung Gruber an eine weitere Besonderheit der Kunst nach 1945: jene von Künstlern in Deutschland nämlich.

Nicht nur, dass viele Laufbahnen durch den Krieg „jäh unterbrochen, wenn nicht sogar beendet“ worden waren. Nach Kriegsende fanden sie sich zudem in einem geteilten Land wieder und gerieten „zum Teil erneut zwischen die politischen Fronten der sich in einem Kalten Krieg feindlich gegenüber stehenden Blöcke“, so Brinkmann.

Mehr Menschlichkeit

Gruber selbst nutzte die Vernissage, um seinen bereits anlässlich einer Pressekonferenz im Vorfeld vorgetragenen Appell für mehr Menschlichkeit zu bekräftigen. Er sei erschüttert, dass heute wieder Rassismus, Nationalismus und Ausgrenzung um sich greifen. Bilder etwa vom zerstörten Aleppo in Syrien ließen ihn an Dresden 1945 denken. Gegenüber der MZ plädierte er für eine humane Flüchtlingspolitik und fragte später, „was denn damals aus den Juden geworden wäre“, die 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten fliehen mussten und beispielsweise in Lateinamerika Zuflucht fanden. Wobei sich im Ausland, daran sei hier erinnert, die Bereitschaft, Juden aufzunehmen, in erschreckender Weise in Grenzen hielt.

Auch die eingangs erwähnte Lea Grundig, 1906 als Lea Langer und Tochter eines jüdischen Kaufmanns in Dresden geboren, wurde in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt. In der Ausstellung „Kunst nach 1945“ ist sie ebenfalls vertreten. Was hat sie eigentlich 1965 an den 15-jährigen Gerd Gruber geschrieben? Unter anderem dies: „Es macht mir Freude, dass Du soviel Interesse an bildender Kunst hast.“ Und im Dezember desselben Jahres: „Es ist ganz erstaunlich, was Du Dir doch schon für eine schöne Grafiksammlung geschaffen hast.“ Könnte sie die Kollektion heute sehen, sie würde vermutlich staunen. Oder Wittenbergs Bürgermeister Jochen Kirchner (parteilos) beipflichten, der zur Ausstellungseröffnung sagte, Gerd Gruber habe mit seiner Sammlung „Großes erreicht für die Stadt und das Land“.

Naumann lobt Professionalität und Tiefe

Die Vernissage der Ausstellung „Internationale Positionen“ im Alten Rathaus bildete zugleich die zentrale Eröffnungsveranstaltung der Schau „Kunst nach 1945“ mit Werken der Sammlung von Gerd Gruber. Zu den Besuchern gehörte Wittenbergs früherer Oberbürgermeister Eckhard Naumann. Auch er lernte Gruber im damaligen Stickstoffwerk kennen, wo der promovierte Ingenieur arbeitete. Gegenüber der MZ sprach Naumann von einer „bemerkenswerten Professionalität und Tiefe“, die Gruber in seiner Beschäftigung mit Kunst und Künstlern neben seinem Beruf erlangte. Tatsächlich zeichnet es Gruber aus, dass er immer wieder Künstlerbiografien nachspürt. Etliche können in dem zur Ausstellung erschienenen Bestandskatalog nachgelesen werden.

Die unter anderem vom Land Sachsen-Anhalt geförderte Ausstellung ist die 15. Exposition von Gruber - an über 100 indes war er mit Werken aus seinem Sammlungsbestand schon beteiligt. Vor allem kuratiert wurde die aktuelle Exposition von der Kunsthistorikerin Ulrike Brinkmann, die zur Eröffnung betonte: „Die Ausstellung ist auch ein tolles Beispiel dafür, wie die verschiedensten Institutionen in Wittenberg zusammenarbeiten können.“ Demnach hatte das Projekt einst der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Stefan Rhein, „angeschoben“. Gemeinsam veranstaltet wird die Exposition „Kunst nach 1945“ vom Verein „Wittenberg-Kultur“ mit der Cranach-Stiftung Wittenberg und der Stiftung Christliche Kunst in Wittenberg.

Beide Stiftungen zeigen mit „Neues Bauhaus“ und „Pazifismus trifft Religion“ zwei weitere Teilausstellungen der Schau „Kunst nach 1945“. Die Mitteldeutsche Zeitung wird diese noch vorstellen. Geöffnet sind die Ausstellungsorte wie folgt: Altes Rathaus, Montag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr / Cranach-Haus Markt 4, Montag bis Samstag, 10 bis 17 Uhr, Sonntag von 13 bis 17 Uhr, Stiftung Christliche Kunst im Schloss montags bis samstags von 10 bis 17 Uhr und sonntags zwischen 12 und 17 Uhr.

Musikalisch begleitet wurde die Vernissage im Alten Rathaus von Christian und Martin Blossey und Eva-Maria Julian. Eine Empfehlung: Sollte das Trio mal in der Gegend konzertieren, unbedingt hingehen. Es lohnt sich.  

(mz)

„Kinder in Kambodscha“ von Lea Grundig: Eine andere Arbeit dieser Künstlerin bildete einst den Grundstock für Gerd Grubers Sammlung. Vertreten ist Grundig jetzt auch in der Ausstellung „Kunst nach 1945“ in Wittenberg.
„Kinder in Kambodscha“ von Lea Grundig: Eine andere Arbeit dieser Künstlerin bildete einst den Grundstock für Gerd Grubers Sammlung. Vertreten ist Grundig jetzt auch in der Ausstellung „Kunst nach 1945“ in Wittenberg.
Repro/Tony Rzehak
Arbeiten wie diese der Sammlung Gruber sind ebenfalls im Rathaus zu sehen.
Arbeiten wie diese der Sammlung Gruber sind ebenfalls im Rathaus zu sehen.
Repro Rzehak