Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Zschornewitz verliert sein Wahrzeichen

Zschornewitz/MZ. - Geschafft: Oliver Marks steckt sich die Zigarette an und blickt zufrieden auf sein Werk. Die beiden letzten Zschornewitzer Kraftwerksschornsteine - das Wahrzeichen des Ortes - liegen ordentlich nebeneinander im vorbereiteten Bett. Ihre Sprengung war die vierte, die der 40-Jährige als verantwortlicher Sprengmeister in die Wege geleitet hatte. Dem Beifall der Zuschauer folgt die Anerkennung der Auftraggeber. "Kannst auch Boxberg machen", gibt Roland Böhmer Marks mit auf den Weg. Böhmer ist Leiter Rückbau bei der Biq Standortentwicklung und Immobilienservice GmbH und blickt als solcher bereits auf weitere Abrissvorhaben.
Zschornewitz ist aber nur zum Teil abgehakt. Hier gibt es bis Ende Juli noch jede Menge Arbeit. Gut 7 200 Tonnen Beton müssen abgefahren, das Gelände komplett beräumt werden. Dann wird nichts mehr erinnern an das Gasturbinenkraftwerk aus den 1970ern, zu dem die beiden 100 Meter hohen Schornsteine gehörten, die Marks mustergültig zu Fall gebracht hat. Die Silhouette von Zschornewitz ist seit Mittwoch kurz nach 11 Uhr eine andere. Von einst 13 Kraftwerksschornsteinen ist keiner mehr da.
Die Einwohner haben mit dem Niedergang leben gelernt. Die Sprengungen haben beileibe nicht mehr den einschneidenden Charakter wie vor der Jahrtausendwende. Das einst weltweit größte Dampfkraftwerk wurde vor zwei Jahrzehnten stillgelegt. Kraftwerker sind in Rente oder haben andernorts Arbeit gefunden. Das Erlebnis Sprengung wollten sich Anwohner und Alt-Kraftwerker dennoch nicht entgehen lassen. Zumal es das letzte Ereignis seiner Art gewesen sein dürfte. Zwar steht noch einer der Kühltürme. Doch der wird Stück für Stück abgebrochen.
"Für uns ist das hier die vierte Sprengung", erzählen Maria und Peter Hofmann das Geschehen in aller Seelenruhe. "Ist auch nicht so schlimm wie sonst." Zwar musste das Paar samt Enkelkindern das im weiträumigen Sperrkreis befindliche Haus schon Stunden vor der Sprengung verlassen. "Aber wir hatten schon Zeiten, in denen die Fenster offen bleiben mussten und Holz-Schutzwände aufgestellt wurden." Hofmanns sind Gast der Biq, freuen sich mit den anderen Anwohnern über den Logenplatz mit freier Sicht auf die Schlote und waren auch angetan von der Versorgung. Kaffee, Brötchen, zu Mittag Eintopf: Das Ende des Kraftwerks ist Erlebnis für die ganze Familie.
Für Guido Richter ist es Nervenkitzel. Er ist verantwortlicher Bauleiter bei TVF Altwert und weiß, "dass es einige Leute gibt, die jetzt sehr nervös sind". Er nimmt sich nicht aus davon. Denn bei aller Routine: Jedes Bauwerk habe seine Eigenheiten, müsse verstanden werden. Aus sicherer Entfernung blickt er auf die Schornsteine, in die 1 036 Sprenglöcher eingebracht worden waren. 85 Kilogramm Sprengstoff wurden verteilt, um die Betonriesen durch Sprengfaltung von der Bildfläche verschwinden zu lassen. "Wir zünden im Sekundentakt", sagt Richter. Dann tönt die Presslufthupe. Eine Minute bis zur Zündung. Die letzten Sekunden zählen die Umstehenden mit. Eine Betonstaubwolke schießt aus den Türmen, der Schall folgt zeitversetzt. Die Schornsteine kippen und verschwinden in einer riesigen Staubwolke. "Ich habe keine Schwingung im Boden gemerkt." Richter ist zufrieden. Ob es Schäden gegeben hat, wird später geklärt. "Wir haben alles dokumentiert. Risse an Gebäuden, den Zustand von Fenstern und auch der Solaranlage auf der benachbarten alten Poliklinik", erzählt Michael Böhme, der Sprengungen regelmäßig begleitet.
