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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Von Fremdheit keine Spur

Von SILVIA DAMMER 23.12.2011, 18:45

JAHMO/MZ. - Zugezogene haben es nie leicht, in eine Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Von wem nicht mindestens zwei Generationen auf dem Friedhof liegen, der gehört nicht richtig dazu. Das gilt für Fremde wie für Leute aus der nächsten Stadt. Anni und Willy Wittig kennen dieses Phänomen nicht. Sie kamen vor 28 Jahren als Wochenendler nach Jahmo, bauten sich vor 17 Jahren anstelle ihres Bungalows ein Häuschen und scheinen nie anderes als Jahmoer gewesen zu sein. Allerdings haben sie dafür etwas getan.

"Anni und Willy? Ohne die beiden wären unsere Dorffeste nur halb so schön", ist sich Beate Ullrich aus dem Gutshaus sicher. Genau genommen haben die Jahmoer Dorffeste mit dem Zuzug des Ehepaars aus Wittenberg eine Renaissance und ganz neue Qualität erhalten. "Eigentlich wollten wir ein bisschen Leben in das kleine Dorf bringen", erinnert sich Willy Wittig, "und ein Straßenfest im Friedenthaler Weg organisieren." Zum Straßenfest wären aber möglicherweise nur die Anwohner gekommen - Jahmo ist diesbezüglich ein schwieriges Pflaster mit circa 100 Einwohnern im Ober-, Mittel- und Unterdorf, das sagt schon alles. Also fand das erste Fest für alle Dorfbewohner auf dem Sportplatz statt. Das war im Jahr 2000. Wittigs hatten sich für die Ausrichtung noch einige Verbündete gesucht und sie in den vorwiegend jungen Jahmoer Familien gefunden. Aus diesem Kern gründete sich vier Jahre später auch der Förderverein, der sich mittlerweile mit seinen ländlichen Festen, wie die jahreszeitlichen Feuer und die Backofenfeste, sowie mit Projekttagen für Schulen und Kindergärten einen Namen gemacht hat.

Ohne Hilfe der beiden Wittigs wäre das aber nicht zu stemmen, ist sich Doreen Berger, die Vereinsvorsitzende sicher. Davon abgesehen, dass sich Willy Wittig im Verein für die Finanzen verantwortlich zeigt, gibt es den monatlichen Kaffeeklatsch für die Senioren, um den sich vorwiegend das Rentnerehepaar kümmert. Anni besorgt den Kuchen, bäckt auch selbst. "Ihre Kuchen sind köstlich", schwärmt Beate Ullrich. Willy kocht Kaffee und heizt an kalten Tagen den Kamin im Vereinshaus. Und beide bringen Spaß und Unterhaltung an die Kaffeetafel. "Wir mögen den Trubel", sagen sie übereinstimmend. "Das war schon so, als wir noch jung waren." Mit 74 Jahren sind der gelernte Schiffbauer und die Grundschullehrerin nun zwar rüstig, aber noch lange nicht alt. "Anni und Willy - wer von den Jahmoer Kindern sagt eigentlich nicht Oma und Opa zu ihnen?", fragt sich Ines Gäbler aus dem Mühlenhaus. Wittigs kennen fast alle Jahmoer Kinder persönlich.

Um irgend eines kümmern sie sich immer. "Leider haben wir ja selbst keine Enkel", bedauert Anni Wittig. Im Moment ist es vor allem der zweijährige Nils Berger, der seine Ersatzgroßeltern auf Trab hält, ihnen aber viel Freude bereitet. Für Nils Eltern, die beide berufstätig sind, ist das eine große Hilfe, und wenn Wittigs in den Kindergarten kommen, dann rufen die Kinder dort schon: "Nils, Oma und Opa sind da!" "Anni und Willy? Das war mein erster Kontakt mit einem Computer", erinnert sich der 18-jährige Rico Gäbler, einer von Wittigs Ersatzenkeln. "Wittigs hatten schon einen und wir nicht." Willy Wittig lacht. "Computer sind das Einzige, wofür wir uns jetzt nicht mehr interessieren." Ausgedehnte Spaziergänge oder Radtouren liebt das Ehepaar viel mehr. (Die schöne Gegend und die Nähe zum kleinen Schwimmbad, das es heute nicht mehr gibt, hatten Wittigs seinerzeit in das Flämingdorf gelockt.) Oder die Arbeit am Vereinshaus "Bei Erna". Da gibt es immer etwas zu tun. "Im Sommer haben wir alle zusammen den Hof gepflastert", erzählt Anni Wittig, "die schweren Steine - ich habe sie am Abend im Rücken gespürt." Sich einzubringen, mitzumachen ist für Wittigs eine Selbstverständlichkeit.

"Anni und Willy? Hoffentlich ziehen sie sich nicht so schnell aufs Altenteil zurück", wünscht sich Doreen Berger. Angedeutet hätten sie es ja schon einmal und da hätten alle im Verein den Atem angehalten. "Mit 74 Jahren sind wir die Ältesten im Verein", sagt Willy Wittig und ja, manchmal haben beide schon ans Aufhören gedacht. "Warum tut ihr euch das an?", wurden sie von Bekannten auf ihr Engagement angesprochen. Spätestens dann war der Aufhörgedanke tabu: "Wir tun uns nichts an. Es macht uns Spaß."

"Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man." Mit diesem Satz hat schon Franz Kafka erkannt, dass es besser ist, hineinzugehen. Anni und Willy haben das seinerzeit in Jahmo getan und seitdem gehören sie in das Dorf.