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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Tradition des Zigarrenwickelns wird gepflegt

Von Ilka Hilger 02.09.2012, 17:41

ORANIENBAUM/MZ. - Die Handgriffe gehen Margitta Roszak ganz selbstverständlich von der Hand. "Das verlernt man einfach nicht", sagt die Oranienbaumerin, schnappt sich aus der Plastetüte den Tabak, zupft, sortiert, dreht und fertig ist der Wickel. Sie drückt ihn in die Holzform. Dort muss er erst mal bleiben. Eine richtige Zigarre wird daraus trotzdem nicht. "Das sollte man lieber nicht rauchen", warnt die 74-Jährige, die Nebenwirkungen seien durchschlagend. Der Tabak ist nicht fermentiert, also unbehandelt. Er dient lediglich Demonstrationszwecken und Margitta Roszak demonstriert mit ihm den hierzulande fast ausgestorbenen Beruf der Zigarrenwicklerin. Sie ist die letzte aus Oranienbaum, die in der Öffentlichkeit zeigt, wie eine Zigarre entsteht.

Handwerk prägte die Stadt

Vor zehn Jahren gründete sich in der Stadt der Arbeitskreis Geschichte Oranienbaums, kurz Agora. Dessen Mitglieder waren es auch, die Margitta Roszak baten, ihr altes Handwerk wieder aufzunehmen. Jahrzehnte hatte die Oranienbaumerin da schon nichts mehr mit dem Tabak zu tun, der einst so intensiv das Arbeitsleben der Stadt prägte. "Doch ich konnte es noch", erinnert sie sich und möchte heute ihre Arbeit für den Verein nicht mehr missen. Beim Orangenfest, Veranstaltungen in und um Oranienbaum zieht sich Margitta Roszak ihren Arbeitskittel über, packt Tabak und die Holzformen, das Arbeitsbrett und das scharfe Messer ein und kann loslegen. So wie damals, als sie mit 19 Jahren in der Zigarrenfirma Ohnesorge im Ort ihren Wicklerinnenjob antrat.

Nur alte Leute

Flott ging ihr die Arbeit dort in den ersten Tagen freilich nicht von der Hand. Die junge Frau, Jahrgang 1938, hatte zuvor bei der Reichsbahn gearbeitet und in der Stadt Gräben ausgeschachtet. Nun, bei Ohnesorge, erwartete sie eine ganz andere Arbeit. "Da saßen nur alte Leute", weiß sie noch. Frauen zumeist, die es schafften, an einem Arbeitstag von 7 bis 17 Uhr 1 000 Zigarren zu wickeln. "Erst dann konnte man vom Wochenlohn leben." Am ersten Arbeitstag war die Ansage vom Chef deutlich gewesen: "Wenn du es nicht begreifst, dann kannst du morgen zu Hause bleiben." Aber Margitta Roszak begriff schnell. Drei Wochen habe sie gebraucht, bis ihr das Wickeln schnell von der Hand ging. "Ich habe mich nicht lumpen lassen", sagt sie. Und als das Wickeln klappte, da wollte sie auch den nächsten Arbeitsschritt beherrschen: das Drehen des Deckblattes, denn das "war die sauberere Arbeit" und Roszak konnte auch sie bald perfekt.

"Fingerfertigkeit ist das Wichtigste", erklärt die Oranienbaumerin, deren Hände auch heute noch flott mit Tabak und Werkzeug umgehen. Und ja, sie hat die Zigarren auch mal geraucht. Gerne auch heimlich neben dem Arbeitstisch, aber "nie die Brasil, die war nicht mein Geschmack". Schöne Namen hatten die Zigarren damals, hießen "Vollkommene", "Traviata" oder "Neues Wunder". Das Deputat, das die Arbeiter jährlich in Form von 40 Zigarren erhielten, war ein willkommenes Zubrot. "Das haben wir verkauft", sagt Margitta Roszak.

Anker statt Zigarren

Die Arbeitsjahre der 74-Jährigen im Tabakgewerbe waren zugleich die letzten dieser Branche in Oranienbaum. Margitta Roszak erlebte mit, wie die wenigen nach dem Krieg verbliebenen privaten Tabakfirmen verstaatlicht und dem VEB Nahrung und Genuss zugeordnet wurden. In den späten 1960er Jahren wurde die Produktion dann gänzlich eingestellt. Aus Tabakwicklerinnen wurden nach einer Umschulung Ankerwicklerinnen. "Da saßen wir an Automaten. Es war eine saubere Arbeit", sagt Roszak, die bis zu ihrer Frühverrentung 1975 in Waldersee die Elektromotor-Teile produzierte und den Tabak im Laufe der Jahrzehnte schon fast aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte. Da hatte sie jedoch nicht mit dem Agora-Verein und der Idee gerechnet, an das alte Handwerk zu erinnern. Am 9. September tut Margitta Roszak das übrigens wieder. Dann ist der Oranienbaumer Verein beim Denkmaltag am Sonntag dieser Woche rund um das Gasthaus "Eichenkranz" mit dabei und Tabakwicklerin Roszak stellt auch mit 74 noch ihre Fingerfertigkeit unter Beweis.