Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Nie am großen Rad mitgedreht
SEYDA/MZ. - Er bezog sich dabei auf die Zeitepoche zwischen dem 17. Jahrhundert und den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, Seyda gehörte damals zu Kursachsen.
In diesem Kleinstaat gab es etwa 250 Städte. Die höchste Form urbaner Siedlungen, ausgestattet mit zahlreichen Privilegien. Dazu trugen herrschaftliche Strukturen bei, eigene Gesetze konnten erlassen werden, Handwerkerinnungen hatten dort ihren Sitz, Märkte wurden abgehalten und die Bürger mussten Abgaben leisten. An der Verwaltungsspitze stand ein Bürgermeister mit seinem Ratsgefolge.
Die untere Stufe einer Siedlung waren die Dörfer. Hier hatten die Richter und Lehnschulzen das Sagen. Zwischen beiden Siedlungsformationen rangierten die Ackerbürgerstädtchen. In der hiesigen Region hatten neben Seyda noch Zahna, Prettin, Belzig und Übigau bei Falkenberg / Elster diesen Status. Ackerbürger stellten seit dem Mittelalter innerhalb der städtischen Sozialstruktur eine Sondergruppe dar. Sie waren keinem der typisch städtischen Erwerbsstände zuzuordnen. Sie kamen quasi als Bauern mit Bürgereigenschaften daher, bewirtschafteten Ländereien innerhalb der Feldmark und pachteten weitere landwirtschaftliche Nutzflächen. Ackerbürger begannen sich wie schon Anfangs des 16. Jahrhunderts zu organisieren, beispielsweise in Zünften.
In der Regel hatten Ackerbürgerstädtchen weniger als 750 Einwohner. Im Vortrag wurde deutlich, dass es um 1700 maximal 27 Berufe im nichtagrarischen Bereich gegeben hat. Dominierend sei das Handwerk gewesen - Metzger, Müller, Bäcker, Holzhandwerker. Ackerbürgerstädtchen gab es im gesamten Staatsgebiet von Deutschland. Gekennzeichnet seien sie gewesen von ziemlicher sozialer und wirtschaftlicher Unbeweglichkeit. "Sie hatten deshalb die langsamste Entwicklung", belege die Geschichtsforschung.
Interessantes wusste Alexander Bauer auch aus dem Jahr 1699 zu berichten. Damals hatte Seyda 327 Einwohner, 16 Pferde, 64 Ochsen und 104 Kühe wurden gezählt. Sechs Schmieden und neun Windmühlen gab es, die Zahl der Feuerstätten im Amt Seyda wurde zur damaligen Zeit gezählt. Eine Blüte erreichte Seyda in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 115 Betriebe und Gewerbetreibende hatten sich etabliert. "Da hatte sich natürlich alles aus der Umgebung auf Seyda konzentriert. Es gab vier Bäcker, einen Konditor, Schneider und Schuhmacher, ja sogar eine Brauerei in Seyda sowie den umliegenden Amtsdörfern.
Alexander Bauer referierte bei der Lesung vor interessiertem Publikum. Einige konnten sich noch sehr gut an längst vergangene Zeiten erinnern und ergänzten den Vortrag mit eigenen Beiträgen. Auch Berta Spiegeler, die kürzlich ihren 90. Geburtstag feierte. Das Resümee des Heimatvereinsvorsitzenden nach der Lesung lautete: "Seyda existiert schon lange, hatte zwar eine gewisse Bedeutung als Ackerbürgerstädtchen, hat aber nie am Rad der großen Weltgeschichte mit gedreht."