Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Ein Glücksfall
KEMBERG/MZ. - Dass Gerd Hübner, 66 Jahre alt, demnächst seine Praxis beruhigt in andere Hände geben kann, verdankt er dem Zufall, der ihn mit Matthias Baur zusammenbrachte. Der ist Internist, spezialisiert auf Gastroenterologie und hat in Stuttgart an einem Krankenhaus gearbeitet. "Über einen Bekannten habe ich erfahren, dass Gerd Hübner prinzipiell in den Ruhestand gehen möchte, aber nicht aktiv nach einem Nachfolger sucht", erzählt der 37-jährige Baur, der mit einer Wittenbergerin verheiratet ist. Er habe nachgefragt, in welchen Zeiträumen sich eine mögliche Nachfolge abspielt, man hat sich getroffen, und seit Anfang März läuft die Einarbeitung: Patienten und Mitarbeiter kennen lernen, ebenso die täglichen Abläufe in der Praxis. "Ich habe versucht, dem Kollegen nicht klarzumachen, was alles auf ihn zukommt", scherzt Hübner. "Es ist nicht wie in einer Klinik mit pünktlichem Feierabend. Ein Hausarzt ist Tag und Nacht für seine Patienten da, auch bei ihnen zu Hause. Das ist ein schweres Brot." Letztlich sei solch eine Praxis auch ein Wirtschaftsunternehmen. Hübner weiß, was das Leben eines Haus- und Landarztes ausmacht. Schließlich hat der frühere Chef des Kemberger Landambulatoriums seine Praxis seit Anfang 1991. Er kennt seine Patienten und im Notfall auch die besten Anfahrtswege zu ihnen.
Genau das, nämlich eine selbstständige Arbeit, hat Matthias Baur gesucht. Obwohl die Hausarzt-Tätigkeit für ihn neu ist, ist er von ihr begeistert. "Hier bekomme ich eine Rückmeldung für meine Arbeit", sagt er. Natürlich seien die Aufgaben vielschichtig. Hausbesuche und Bereitschaftsdienste hat er inzwischen in Kemberg schon gemacht, er kennt nun die Kollegen und die Apotheker, mit denen er zusammenarbeiten wird. Als schön empfindet er es, mit der Familie auf dem Land wohnen zu können und die Arbeit nicht zu weit entfernt zu wissen. Ehefrau Stefanie, gelernte Krankenschwester, wird mit Übernahme der Praxis Anfang Juli ebenfalls in dieser arbeiten.
"Wichtig ist der Rückhalt in der Familie für die Arbeit", betont auch Gerd Hübner. Wenn täglich zu Hause das Telefon bimmelt oder man beim Einkauf angesprochen wird, ist auch sie mit der Arbeit konfrontiert. "Es ist logisch, dass man sich nicht isoliert benimmt, und die meisten Landärzte beherrschen das auch", sagt Hübner. Er findet es traurig, dass nur wenige junge Berufskollegen den Mut haben, sich selbstständig zu machen. "Für mich war es nach der Wende reizvoll", sagt er und schildert die Zeit, als er sich im Westen das Know how einer Praxis angeschaut hat, bevor er den Schritt wagte.
Matthias Baur fühlt sich angekommen im Osten Deutschlands, auch wenn das alte Haus in Gommlo, das er gekauft hat, noch nicht bezugsfertig ist. "Die Leute im Ort sind sehr nett", findet er. "Ich vermisse hier nichts." Beide Ärzte sind dankbar, dass sich Vertreter der Stadt Kemberg schnell um den Erwerb des Hauses gekümmert haben. Allerdings sei von der eigenen Standesvertretung keinerlei Unterstützung gekommen, das habe ihn schon etwas geknickt, fügt Matthias Baur hinzu.
Er hat mit dem Rad schon große Teile der Dübener Heide erkundet, die ihm gefällt. Und da er auch Trompete spielt, hat sich Baur dem Posaunenchor der Kirche angeschlossen. Für Hübner, der seine Praxis nicht einfach zuschließen wollte, ohne die Nachfolge zu regeln, heißt es langsam Abschied vom Beruf zu nehmen: "Klar, es gab dabei immer mal Probleme. Aber unterm Strich ist es eine wunderbare Arbeit."