Kirche St. Agnus in Köthen Kirche St. Agnus in Köthen: Zwischen Bach und Cranach

Köthen - Im Antlitz von Haim, dem Besucher aus Israel, zeigt sich Verblüffung. Eigentlich ist er mit seiner Gruppe in die Köthener Agnuskirche gekommen, um hier auf den Spuren des sicherlich prominentesten Gemeindemitgliedes in der über 300-jährigen Geschichte des Gotteshauses zu wandeln: Johann Sebastian Bach. Aber dieser Plan wird eine kleine Weile ad acta gelegt, denn Haim ist auch Cranach-Fan und steht nun staunend vor dem Abendmahlsgemälde von Lucas Cranach dem Jüngeren.
Zur Zeit seines Besuches hing es noch an seinem angestammten Platz, derzeit müssten die Besucher den Weg zur Landesausstellung „Cranach der Jüngere“ auf sich nehmen, um es als dort ausgestellte Leihgabe zu bewundern. Haim fragt nach, was es mit diesem Bild auf sich hat, erfährt, dass es 1565 entstanden ist und einen zeitgleich entstandenen Zwilling in Dessau hat. Es dürfte als Erinnerung an den Fürsten Joachim von Anhalt in Auftrag gegeben worden sein, der vier Jahre zuvor gestorben war. Kniend beim Gebet gemalt, wohnt der Fürst dem Abendmahl bei; als Jünger Jesu sind Personen aus der Zeit der Reformation dargestellt. Dem abstammungsbedingt mit den damaligen Protagonisten nicht gänzlich Vertrauten werden nun Namen genannt und in Beziehung zum anhaltischen Fürstenhaus gesetzt. So findet sich ausgerechnet Martin Luther nicht an prominentester Position, sondern Philipp Melanchthon, was insofern nicht verwundert, da der zur Entstehungszeit des Bildes regierende Fürst Joachim Ernst von Anhalt dessen ausgleichende Art schätzte und den Weg zur reformierten Konfession ebnete. Ein fürstlicher Vorfahr, Georg III., ist ebenfalls hervorgehoben, galt er doch als besonders fromm und wurde von Luther höchstpersönlich zum ersten evangelischen Bischof ordiniert.
Weitere Menschen haben neben Luther in der Runde Platz genommen, die die Zeit an der Seite des Reformators mit geprägt haben. Die Spanne reicht vom Begründer des Luthertums im Norden Deutschlands und Dänemarks Johannes Bugenhagen bis zum Wittenberger Professor und Dekan Georg Major.
Und damit ist es nicht getan, denn der ergriffene Haim sieht sich schließlich Cranach d. J. selbst gegenüber, als Mundschenk dargestellt. Bleibt noch die Frage, wer hier als Judas fungiere muss? Es ist der Theologe Matthias Flacius, dessen heftige Gegnerschaft zu Melanchthon ihm wohl diese zweifelhafte Ehre einbrachte. Bleiben noch einige Personen übrig, respektvoll im Hintergrund des anlässlich der Expo 2000 restaurierten Gemäldes aufgereiht. Es sind die Fürsten von Anhalt, darunter der bereits benannte Joachim Ernst und seine Brüder. Dass in Köthen besonders auf den persönlichen Freund Luthers, Fürst Wolfgang von Anhalt-Köthen, verwiesen wird, der als „Bekenner“ und energischer Streiter für die Reformation in Erinnerung ist, dürfte verständlich sein. Nach gebührender Betrachtung des Bildes richtet sich Haims Blick nun wieder auf die Kirche selbst und ihre durchaus spannende Geschichte. Wurde sie doch bis 1699 gleichsam als Gnadenkirche errichtet, nachdem der reformierte Fürst Emanuel Leberecht sich ausgerechnet in eine Lutheranerin verliebt und daraufhin die bis dahin in Köthen nicht zugelassene Konfession erlaubt hatte. Die angetraute Fürstin sollte sich als engagierte Förderin für die junge Gemeinde erweisen. Und dass die Kirche nach dem Lamm Gottes, dem Agnus Dei, benannt wurde, war ausdrücklich als Ehrerbietung für sie gedacht, war doch ihr Name Gisela Agnes.
Von den Einwohnern Agneskirche genannt
Halb Köthen nennt das Gotteshaus übrigens bis heute konsequent Agneskirche. Johann Sebastian Bach musizierte dort in seinen sechs Köthener Jahren als im Schloss tätiger Hofkapellmeister „nur“ privat, saß ansonsten brav auf einem eigens gemieteten Stuhl im Gottesdienst. In den erhaltenen Konfitentenregistern ist aktenkundig, dass er auch regelmäßig das Abendmahl empfing. Der damals benutzte Kelch wird auch heute noch gereicht und natürlich nicht nur von den israelischen Bach-Verehrern fast schon wie eine Reliquie ehrfürchtig in Augenschein genommen. Aus Bachs Zeiten unverändert zu sehen sind auch zum einen der 500 Jahre alte Flügelaltar, ein Geschenk des Hauses Sachsen-Merseburg zum Kirchenbau, dem damals aus vielen lutherischen Gemeinden Unterstützung zuteil wurde. Und zum anderen ein weiteres meisterhaftes Gemälde, gemalt vom preußischen Hofmaler Antoine Pesne. Es zeigt die Patronin der lutherischen Gemeinde, Fürstin Gisela Agnes. Allerdings ist die innere Gestaltung der Kirche heute farbenfroher als zu Bachs Zeiten, hat man doch bei der sorgfältigen Restaurierung des Baus den Habitus aus der Zeit um 1850 wieder hergestellt.
Die Arbeiten, die fast komplett abgeschlossen sind, gestalteten sich angesichts des zur Wendezeit baufälligen Gotteshauses zu einem schwierigen, aber glänzend gelungenen Kraftakt. Wie auch Haim aus Israel findet: „Bachs church is a wonderful place!“ (mz)
