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Kettenhemd aus der Manufaktur Eckert

Von IRINA STEINMANN 17.08.2009, 17:05

NUDERSDORF/MZ. - Rot und in diesem kräftigen Beige gehalten sind auch die Kost-, pardon, die Gewänder des Vereins "Rittergut Nudersdorf".

Herrschaft in Blau

Fast alle: Die "hohen Herrschaften" bevorzugen Blau. Denn ein Rittergut so ganz ohne Herrschaft, das geht natürlich nicht. Gundel Lehmann und ihr Mann Axel sind die hohen Herrschaften, namenlos zwar, aber das passt ganz gut zu ihrem "Schloss" mit seinen häufigen Besitzerwechseln: Die letzten Herren mussten nach dem Krieg nicht mal enteignet werden, wie das ja gerne Usus war - sie waren schon vorher pleite gegangen. Nach 1933 nistete sich der Arbeitsdienst ein im Schloss von 1703.

Viel fernere Geschichten liegen unterdessen dem jungen Verein am Herzen, der dort sein Domizil, seinen Mittelpunkt hat. Man verortet sich in der Lutherzeit. Und das, erläutert Gundel Lehmann, durchaus mit Fug und Recht. Waren es nicht Nudersdorfer Wassermühlen, die dazu beitrugen, die Botschaft der Reformation aufs Papier zu bringen? Hatte nicht der Wittenberger Kanzler und Luther-Zeitgenosse Gregor Brück die Wüstung Nudersdorf gekauft? Wenn das mal keine Brücke ist! Man merkt, dass die Pflege der Dorfchronik, eine der erklärten Aufgaben des Vereins, Gundel Lehmann ein Anliegen ist.

Der 2005 gegründete Rittergut Nudersdorf e. V. ist einer von mittlerweile zahlreichen Vereinen, die sich im Sog des beliebten Wittenberger Stadtfestes auch in den umliegenden Städten und Gemeinden formiert haben. Irgendwann, erzählt Gundel Lehmann, habe es den Nudersdorfern nicht mehr ausgereicht, bloß als historisch gewandete Einzelpersonen anwesend zu sein bei "Luthers Hochzeit", wie sie es schon seit 2001 gehalten hatten. Inzwischen weiß man, wo man sie findet auf dem Fest: an der langen Tafel auf dem Kirchplatz. Und die Blicke der Zuschauer beim Umzug! "Ein erhabenes Gefühl", findet die 45-Jährige, die als gelernte Großhandelskauffrau und Mutter von fünf Kindern sonst wohl eher nicht zum Pathos neigt.

Zwölf Mitglieder zählt der Verein, nicht eingerechnet der Nachwuchs von morgen: vier Kinder, sowie die "Freunde" der Leute vom "Rittergut": 25 junge Leute zwischen 18 und 25 Jahren, die den Jugendclub im selben Schloss besuchen und von Fall zu Fall gern mal mit anpacken, ohne nun gleich eingetragener Ritter sein zu wollen. Vereinsvorsitzende ist die Nudersdorferin Kerstin Grünert, ihr Stellvertreter der Ortsbürgermeister höchstselbst, Helmut Eckert.

Eckert ist, wie er selbst sagt, fürs Martialische zuständig. Das Martialische entsteht vorzugsweise an langen dunklen Winterabenden, aber auch sonst in freien Minuten. "Sechser", sagt Eckert, "sieht sehr vornehm aus", er bereite aber auch die meiste Arbeit. Deshalb nehmen er und sein Sohn, den er irgendwie - mit Gewalt? - dazu gebracht hat mitzutun, vornehmlich Achter- und Zehnerdraht zum Knüpfen der Kettenhemden, ohne die die rot-beigen Gewänder (!) nur halb so interessant wären. Weil Fachliteratur zur Fertigung von Kettenhemden heutzutage eher rar ist, haben sie sich einfach Abbildungen genau angeschaut und sind dann vorgegangen nach der bewährten Methode "Versuch und Irrtum". Mut und Langmut, die für den Verein unbezahlbar sind, denn bezahlen könnte der solche Hemden nicht.

Klare Regeln

Eckert, als Ortsbürgermeister immer mal wieder gefangen im Dickicht der Bürokratie, glaubt auch zu wissen, was den Reiz der Reise ins Mittelalter ausmacht: Es sei der "Wunsch nach klaren und einfachen Regeln". Und dann formuliert er sehr druckreif, was wohl auch Cowboys, Indianer, Karnevalsprinzen unterschreiben dürften: "Man kann in ein anderes Leben eintauchen, ohne dass man sich aufgibt."

Rittersein mag oft eine blutige Angelegenheit gewesen sein - mit Blut haben, allerdings friedlich, auch die Leute vom Rittergut zu tun: Immer wenn das DRK in Nudersdorf Blut abzapft, übernehmen sie die Versorgung der edlen Spender. Dass sie das auch beim Schlossfest machen, versteht sich. Sie werden für die Gäste grillen, Fleisch, Fleisch, Fleisch, und auch Kartoffelecken mit Quark anbieten. Letzteres sei ein Experiment, um die Leute an "Rohkost", wie Gundel Lehmann es nennt, heranzuführen. Ja, so sind die alten Rittersleut'!