Kammermusiktage Kammermusiktage: Tiefer Ernst
wörlitz/MZ. - War vormittags im mit Schülern voll besetzten Saal des Wörlitzer "Eichenkranzes" ein Kinderkonzert gleichsam als Vorspiel gegeben worden - Saint-Saëns "Karneval der Tiere" stand auf dem Programm -, eröffnete das renommierte Leipziger Streichquartett am Freitagabend an selbem Ort die zweiten Anhaltischen Kammermusiktage mit einem packenden Konzert; zwei Gäste waren dazu gebeten: Peter Rösel am Klavier und Matthias Wilde, einst Dessauer Solocellist und zusammen mit der Pianistin Olga Gollej Initiator der Konzertreihe.
Höchstmaß an Vertrautheit
Mit einem frühen Beethoven-Streichquartett begann der Abend noch vergleichsweise mit leichter Muse: artifizielle Musik, die eine Portion Keckheit verträgt. Die Leipziger Musiker (Stefan Arzberger an der ersten Geige) zeigten vom ersten Satz an ein Höchstmaß an musikalischer Vertrautheit: dynamische, agogische, artikulatorische Finessen, dass es ein musikalisches Erlebnis war!
Die Kantilenen des zweiten Satzes mit schönem Sentiment dargeboten, der Finalsatz mit Spielfreude und mit dem Ideal eines satten Streicherklangs. Instrumentale Verve legte den ganzen Geistesreichtum dieser Komposition frei. Ob der Schluss durch Lakonie aber nicht noch gewinnt?
Schwermütiger am Ende Brahms' Klavierquintett op. 34. Peter Rösel fügte den vier Streichern das Klavier mit großer kammermusikalischer Achtsamkeit hinzu. Brahms lässt Bratsche und Cello immer wieder einmal kurz hervortreten, was Ivo Bauer und Matthias Moosdorf gerne, aber klug dosiert nutzten.
Über das unvermittelte Ende des dritten Satzes - mächtig, obwohl ein Scherzo - wurden die Zuhörer in die Stille vor dem Finale hineingeworfen, um dadurch umso mehr dieser zwingenden Musik ausgeliefert zu sein. Faszinierend, wie die Streicher Klaviertiefpunkte aufnahmen und entfalteten.
Zwischen Beethoven und Brahms wurde ein Streichquintett des Dessauer Kapellmeisters August Klughardt gespielt (mit Matthias Wilde, zweites Cello). Dank ihrer kammermusikalischen Meisterschaft boten die fünf Streicher Klughardt at his best. Ohne Scheu vor pathetischen Zügen besonders im Kopfsatz überführten sie Spielfreude in eine Lust an Tragik.
Gattung für Liebhaber
Die unausgeglichene Tonsprache der Komposition macht den Eindruck von Zerrissenheit; daraus kann gleichwohl eine hochemotionale Musik werden, wenn sie so packend gespielt wird wie an diesem Abend. Was an ungestümer Melodik und Instrumentation bei Klughardt effekthascherisch sein könnte, wussten die Musiker nobel auf seine musikalische Substanz zurückzuführen.
Jedenfalls führten sie den Beweis, dass der Dessauer Kapellmeister nicht dem Vergessen anheimgegeben, vielmehr gelegentlich zu Gehör gebracht werden sollte, so wie es bei den Anhaltischen Kammermusiktagen in dieser Woche gleich dreimal geschieht. Das Leipziger Streichquartett demonstrierte an diesem ersten Abend der Reihe, dass Kammermusik gewiss eine Gattung für Liebhaber ist, aber keine unzugängliche Geheimwissenschaft. Die zwei Stunden hochkonzentriertes Musizieren und Zuhören waren eine Mühe, die lohnte: Wann erlebt man sonst solchen tiefen und reinen Ernst?