Jubiläum in Wittenberg Jubiläum in Wittenberg: Paul-Gerhardt-Orchester feiert Zehnjähriges

Wittenberg - „Ich brauche keine Millionen / mir fehlt kein Pfennig zum Glück / ich brauch nur deine Liebe / und Musik, Musik, Musik!“ Marika Rökk hat das in dem 1939 erschienenen Revuefilm „Hallo Janine“ geschmettert, am Sonntagnachmittag singt den Titel im Wittenberger Stadthaus Kristina Ackermann. Man nimmt es ihr ab, dass sie für Musik ganz viel übrig hat. Ihre wichtigste Aufgabe an diesem 17. April ist es jedoch, gemeinsam mit Wilfried Krüger das Jubiläumskonzert zu moderieren, mit dem das Paul-Gerhardt-Orchester der Kreismusikschule Wittenberg sein zehnjähriges Bestehen feiert.
Mit gutem Gespür
Maximal 600 Plätze, je nach Bestuhlung, gibt es im großen Saal des Stadthauses. Gut 500 Besucher sind es am Sonntag, so heißt es am Rande in der Konzertpause. Respekt! Die Zuhörer kommen auch nicht nur aus Wittenberg, sondern u. a. aus Gräfenhainichen, Jessen, Coswig und Zahna. Sie erleben zwei Stunden Musik, zum Teil mit Gesang und Tanz, dank Live-Übertragung auf eine Großleinwand gut sichtbar sogar für die hinteren Reihen.
Das Jubiläumskonzert des Paul-Gerhardt-Orchesters am Sonntag im Wittenberger Stadthaus hielt auch Überraschendes bereit. So wurde das Gerhardt’sche Sommerlied „Geh aus, mein Herz“ von Orchestersprecher und Geiger Michael Hobrack und Familie auf vier Veeh-Harfen begleitet. Dieses Instrument, das an eine Zither erinnert, wurde erst Ende der 1980er Jahre entwickelt. Konzipiert und gebaut hat es im Süddeutschen der Landwirt Hermann Veeh für seinen behinderten Sohn. Wenig überraschend, aber anlässlich von Jubiläen üblich und gerechtfertigt war der von Wilfried Krüger überreichte Dank an Förderer und Sponsoren. Denn mag das Bürgerorchester, dessen Mitglieder ehrenamtlich tätig sind, insoweit auch kein Geld kosten, so braucht es doch welches (u. a. für Noten, Instrumente, Tonsteuerungsanlage, Gema-Gebühren, Saalmieten).
Weil „staatliche Fördermittel“ allein nicht reichen, hat Krüger (übrigens mit über 80 ältestes Ensemblemitglied) auch Volksbank und Sparkassen-Stiftung angesprochen. Zu privaten Sponsoren, die „regelmäßig“ spenden, gehören Firmen in der Region. In diesem Jahr, so Krüger, bestehe die Hoffnung, dass ein Orchesterbus angeschafft werden könne. Den Namen Paul Gerhardt verlieh dem Klangkörper einst der damalige Direktor der Paul-Gerhardt-Stiftung Rainer Wettreck. „Nicht zuletzt, um ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen, denn die zunehmende Anzahl von Senioren in unserer Stadt und dem Landkreis, ob pflegebedürftig oder noch rüstig, hat einen Anspruch auf niveauvolle Orchestermusik in gemeinsamen Konzerterlebnissen“, heißt es nun im Programm zum Festkonzert.
Die Gründung des Ensembles 2006 (als Instrumentalkreis unter der „Obhut“ der Paul-Gerhardt-Stiftung) geht auf Wilfried Krüger, Peter Gensichen und Luise Stöbe zurück. Violinistin Stöbe, damals noch Kreismusikschülerin, wurde am Sonntag zur Konzertmeisterin ernannt. Seit einigen Jahren ist das inzwischen bis zu 25 Mitglieder zählende Orchester wie berichtet in der Trägerschaft der Kreismusikschule (KMS) Wittenberg und des dortigen gemeinnützigen Freundeskreises. Das Motto des Ensembles bis heute lautet „Melodien für Senioren“.
Eine Seniorin, Krügers Mutter nämlich, war es auch, die den maßgeblichen Impuls zur Gründung gegeben hatte. Geleitet wird das Ensemble von Profi-Geiger Michael Marinov, der als Honorarlehrkraft an der KMS auch Geige und Kammermusik unterrichtet. Regelmäßig probt das Orchester montags. Weiterer Probentag ist der Mittwoch. Vor großen Konzerten, so Johannes Winkelmann (der Geschäftsführer der Wittenberg Marketing GmbH spielt Violoncello) werde zudem freitags geprobt. Der Aufwand ist also nicht unbeträchtlich. (mz/cni)
Erinnert wird auch an die Geschichte des Klangkörpers, der 2006 aus einer Initiative dreier Laienmusiker hervorging. Als Paul-Gerhardt-Instrumentalkreis, der das Projekt „Melodien für Senioren“ ins Leben rief, spielte das Trio zunächst im Schleusner-Senioren-Stift. Mit Neuzugängen etwa in der Bläserbesetzung wurde man zum Salonorchester und vergrößerte wie berichtet seinen Aktionsradius, das Repertoire dito (siehe auch „Luise Stöbe zur Konzertmeisterin ernannt...“).
Heute stehen schon mal fast 30 Musiker auf der Bühne, Schüler sind die einen, Studenten, Berufstätige und Ruheständler die anderen. Als Orchester kommen sie in ihrer Freizeit zusammen, doch ist es dem Profigeiger und Kapellmeister Michael Marinov gelungen, aus den unterschiedlichen Temperamenten ein gut eingespieltes Ensemble zu formen. Marinov wirkte auch mal in der Anhaltischen Philharmonie Dessau; wie deren einstiger Chefdirigent und Generalmusikdirektor Antony Hermus, so verfügt auch er über die Gabe, andere zu begeistern und mitzureißen. Leidenschaft für die Musik und die Menschen sei wichtig, hat Hermus einmal gesagt. Davon abgesehen müsse ein Orchesterchef, egal ob im Profi- oder Amateurbereich, ebenso „Führungsperson“ sein wie „Mediator“.
Marinov scheint das drauf zu haben, er hat zudem ein gutes Gespür dafür, was er seinen Musikern zutrauen kann. Dabei lässt die Stückeauswahl gerade für das Jubiläumskonzert weder an Vielfalt noch an Anspruch zu wünschen übrig. Ausgesucht festlich ist mit „Trumpet Voluntary“ von Jeremiah Clarke der Auftakt, populär das Ende, als „I have a dream“ (Abba) interpretiert wird, und volkstümlich schließlich das Finale, da gibt’s eine Kostprobe des Liedes „Funiculi, Funicula“.
Dazwischen kann sich das Publikum an Opernklassikern ebenso erfreuen wie an beliebten Operettenmelodien. Es gibt Zeitgenössisches wie „Küssen kann man nicht alleine“ (Max Raabe/Annette Humpe), Franz Lehárs „Wolga-Lied“ wird geboten, ein Tango von Astor Piazzolla und vieles mehr. Mit „Geh aus, mein Herz und suche Freud’“ haben sie auch ein Lied ihres Namenspatrons Paul Gerhardt ins Programm genommen. Zur Feier des Tages wird das Orchester hier und da vom Kinderchor der Kreismusikschule unterstützt (Leitung: Mechthild Andersch). Und beziehungsreich zu den insoweit ausgewählten Werken (etwa beim Chor der Straßenjungen aus George Bizets Oper „Carmen“ oder Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“) sind die Auftritte des Wittenberger Tanzstudios Porwol (Choreografie und Leitung: Roswitha Porwol).
22 Auftritte allein 2015
Das Orchester selbst beeindruckt nicht nur ob der Ensembleleistung, sondern auch mit Multitalenten in seinen Reihen. Ihnen gelingt es scheinbar mühelos, zwischen Instrumenten zu wechseln. Justin Lohrmann etwa spielt Geige, Klavier und Saxofon. Anna Jehle (Violine) vertritt ihren Vater Peter Jehle am Klavier. Oder Alexandra Anders: Die Flötistin erweist sich als begabte Sängerin.
Freilich hätten es alle Mitwirkenden verdient, hier namentlich erwähnt zu werden, doch würde das den Rahmen sprengen. Da empfiehlt sich nur der Besuch eines der nächsten Konzerte des Paul-Gerhardt-Orchesters. Möglichkeiten bieten sich manche, denn das Ensemble, das sich selbst als Bürgerorchester versteht, absolviert viele Auftritte, 22 Konzerte waren es allein 2015, und es wird längst auch außerhalb gewürdigt. Gefeiert wurde es am Sonntag im Stadthaus mit langanhaltendem Applaus. (mz)



