Johanniskirche in Dessau-Roßlau Johanniskirche in Dessau-Roßlau : Begegnung mit dem Mundschenk

Dessau - Ist er es oder ist er es nicht? Darüber lässt sich trefflich sinnieren, wenn man im Kirchenraum von St. Johannis in Dessau sitzt. Gerade im aktuellen Cranach-Jahr brennt doch die Frage unter den Nägeln, ob der Herr in roter Pluderhose tatsächlich Lucas Cranach der Jüngere ist. Auf jeden Fall ist es der Mundschenk, der da rechts vorn auf dem „Dessauer Abendmahl“ steht und den roten Wein an den Tisch reicht.
Cranach-Kirchen der Region
Die Landeskirche Anhalts hat den bärtigen Mann jedenfalls in ihrem Werbematerial herausgehoben und lockt mit ihm in die Cranach-Kirchen der Region. Auf dem großformatigen Gemälde in der Dessauer Kirche gäbe es aber noch manch anderen Herren, mit dessen markantem Gesicht man werben können: Martin Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, die Fürsten Joachim und Georg – sie alle hat der Cranach-Sohn hier versammelt und so die wichtigsten mitteldeutschen Reformatoren und Mitglieder des Fürstenhauses Anhalt an einer Tafel rund um Christus platziert. Das Gruppenfoto des Jahres 1565.
Das „Dessauer Abendmahl“ ist nur eines von drei Gemälden aus der Werkstatt der Wittenberger Maler, die den schlichten Kirchenraum dominieren. Da gibt es, ebenfalls vom Jüngeren, noch „Christus am Ölberg“ aus dem Jahr 1561, die „Kreuzigung“ malte Lucas Cranach der Ältere 1523. Zwischen 2,20 und 2,57 Meter sind die Bilder hoch, 1,80 bis zwei Meter breit. Sie scheinen wie gemacht für die weißen Wände in Dessaus größter Kirche. Gemalt aber wurden sie für die Marienkirche, die ab 1552 zum Ort für einen reichen Bilderschatz der Cranachs wurde. Ihre neue Heimat fanden die drei Cranach-Tafeln erst 1988 in der Johanniskirche und sie hätten sich keine turbulentere Zeit für den Einzug ins neue Heim aussuchen können.
Zentraler Ort der Proteste
St. Johannis war in jenen Jahren eine Baustelle, die Kirchenrenovierung hatte begonnen, der Chorraum wurde neu gestaltet. Während unten noch gearbeitet wurde, hatte man die Gemälde schon aus der Mildenseer Kirche überführt und auf der Empore gelagert.
Mildensee war für die Bilder über gut 40 Jahre Aufenthaltsort, denn nach der Zerstörung der Marienkirche zum Ende des Zweiten Weltkrieges und einer Odyssee über Auslagerungsorte im Harz konnten die Gemälde natürlich nicht in die Ruine von St. Marien zurückkehren, die Johanniskirche aber wurde wieder aufgebaut. Und nun, dort angekommen, drohte ihnen neue Gefahr. In der Zeit der friedlichen Revolution von 1989 wurde die Kirche zum zentralen Ort der Proteste in Dessau, tausende Menschen nahmen hier an den Gebeten um Erneuerung teil. „Da hing nur ein Zettel an einer provisorischen Absperrung, aber alle hatten Respekt davor“, sagt Pfarrerin Gertje Perlberg.
Sie kennt nur die Erzählungen aus jenen bewegten Tagen, in denen ihre Vorgänger Alfred Radeloff und Peter Rauch besonnen und weitsichtig handelten und nicht nur den Dessauern am Mikrofon im Altarraum eine Stimme gaben, sondern auch die Cranachs ein weiteres Mal retteten und bewahrten.
„Ich habe die Gemälde das erste Mal bei meiner Probepredigt gesehen“, erinnert sich Perlberg, die seit 2000 als Pfarrerin der Gemeinde St. Johannis und St. Marien arbeitet, 1967 wurden die beiden Gemeinden zusammengeschlossen. Obgleich Gertje Perlberg die Tafeln tagtäglich vor Augen hat, haben diese für sie nichts an ihrer Faszination eingebüßt. „Mein Lieblingsbild wechselt immer mal“, so die Pfarrerin. Was sie in jedem Motiv zu begeistern vermag, sei die Detailverliebtheit von Vater und Sohn Cranach. „Da finden sich etliche Minidetails und eine Lieblichkeit in den Gesichtern, die mich anrührt.“
Von diesen Empfindungen spricht Perlberg gerne bei Führungen durch das Gotteshaus. „Ich mache die natürlich ganz anders als ein Kunsthistoriker, ich rücke die biblische Geschichte in den Vordergrund.“ Beispielsweise die auf „Christus am Ölberg“ dargestellte. „Das ist mein momentaner Favorit.“ Jedes Barthaar sitzt, kleine Blumen blühen auf dem Berg Gethsemane. „Der Engel da oben, das ist für mich ein Mädchen. Das ist ein sehr lyrisches Bild“, sagt sie. Die Details, die nicht nur die Pfarrerin begeistern, brachte erst eine Restaurierung der Cranach-Bilder wieder zum Vorschein. Sie wurde unter anderem durch eine Spendenaktion realisiert, im November 1992 konnten die restaurierten Cranachtafeln der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Mehr Gäste als sonst
„Ich finde, inzwischen sind die Bilder hier längst angekommen, haben ein Zuhause, vielleicht mehr als in der Marienkirche“, meint Gertje Perlberg. Wer derzeit auf Cranachs Spuren wandelt, kann das gut nachvollziehen: in St. Marien eine Ausstellung sehen, in St. Johannis die Originale. Für die laufende Saison legen die ehrenamtlichen Helfer und Mitarbeiter der Gemeinde zusätzlich Dienst ein, damit die Kirche offen für Besucher ist. „Es kommen mehr Gäste als sonst“, sagt Perlberg. Ein Höhepunkt steht aber noch bevor: der Gottesdienst zum 500. Geburtstag von Lucas Cranach dem Jüngeren am 4. Oktober.
Weitere Informationen gibt’s bei www.johanniskirche-dessau.de im Netz. Unter www.cranach2015.de gibt es Infos zur gesamten Landesausstellung. Die Cranach-Kirchen-Serie der Mitteldeutschen Zeitung finden Interessierte bei www.mz-web.de/themen zum Nachlesen ebenfalls online. (mz)