Jahresrückblick August 2017 Jahresrückblick August 2017: Bier aus dem Marktbrunnen

Wittenberg - Nein, das halbe Jahr ist noch nicht um. Hinzu kommt, dass das Bauwerk, um das es hier gehen soll, in den letzten Wochen des Jahres kaum zu sehen war, ja, geradezu unterging im fröhlichen Budenzauber des Weihnachtsmarktes rundherum. Jetzt steht der Marktbrunnen wieder frei, die Konkurrenz ist zusammengeschrumpft auf Luther und Melanchthon.
Ein halbes Jahr, hatte sein Schöpfer Markus Gläser prognostiziert, und dann würde er, der Brunnen, den Wittenbergern schon „sehr vertraut“ vorkommen. Tut er das vielleicht sogar schon?
Bei einer Umfrage kurz nach Fertigstellung des von Gläser selbst liebevoll „Bonbon“ genannten Neubaus des Originals von 1617 hatten in einer bestimmt nicht repräsentativen MZ-Online-Umfrage 58 Prozent der Wittenberger den an die 400.000 Euro teuren Brunnen als gelungen bezeichnet, 36 fanden das nicht, der Rest sagte: mir doch egal.
Am 7. August, also vor knapp fünf Monaten, waren die insgesamt 12,5 Tonnen Steinguss per Kran eingeschwebt. Entworfen im Atelier des Bildhauers und Restaurators in Leipzig-Gohlis, wurden die insgesamt sechs Teile dann vor Ort zusammengesetzt - und Tage später dann auch bemalt. Blau, Rot, Grün, Gold, solche Pracht hatte der Markt lange nicht gesehen - selbst wenn man den Sternenhimmel berücksichtigt, der seit dessen Restaurierung Melanchthon beschirmt und der ebenfalls von Gläser stammt. Später kam dann noch das Bier hinzu - von dem man allerdings nicht weiß, ob es die Umfragewerte noch weiter zum Positiven oder vielleicht gar zum Negativen gewendet hat.
Der Bierbrunnen ist eine Erfindung aus DDR-Zeiten: Aus Anlass der 450. Wiederkehr des Thesenanschlags floss 1967 schon einmal Gerstensaft. Zeitzeugen berichteten, man habe sich hierzu ganz einfach eines Gartenschlauchs bedient. Einen Krug gab es auch.
Am 10. September jedenfalls wurde der Wittenberger Marktbrunnen zusätzlich ein Bierbrunnen und sollte das dann auch bleiben bis zum Reformationstag. Trinken, so lautete die Devise, kann man auch werktags. Vor allem Touristen ließen sich nicht lange bitten. Leider schwächelte dann das Wetter ein wenig, der goldene Trinkherbst blieb weitgehend aus.
Die Verantwortlichen sehen sich in ihrem Experiment, den Festtag zum Alltag zu machen, auf Nachfrage allerdings so oder so bestätigt. Die Stadt Wittenberg, die den Brunnen als Bierzapfstelle an das Wittenberger Veranstaltungs- und Cateringunternehmen Zonkus Conkus vermietet hat, erklärte, es solle auch 2018 wieder Bier fließen. Konkrete Anlässe habe man noch nicht festgelegt, sagte eine Sprecherin, auf jeden Fall aber solle es zum Stadtfest wieder einen Bierbrunnen geben. 30 Jahre Partnerschaft mit Göttingen wollen auch gefeiert sein - und Stadtjubiläum.
„Auf jeden Fall“ weitermachen möchte auch der bisherige Pächter, Andreas „Zonk“ Thiele. Er erinnert sich noch gut daran, wie die 150 Liter Freibier - der Gerstensaft erreicht über eine Anlage im Alten Rathaus den Brunnen - im Handumdrehen weg waren.
Hunderte, wenn nicht Tausende Liter Bier sind im Herbst dort durch die Kehlen von Gästen und Einheimischen geflossen, auf „mehrere Tausend“ schätzt Thiele, den die MZ während einer Autofahrt erreichte, allein die Zahl der verkauften und eigens angefertigten Bierbrunnenbecher.
Der Vertrag zwischen Stadt und Pächter lief bis Jahresende 2017 und steht damit in diesen Tagen zur Neufassung an. An ihm, sagt Thiele, der die Zapfsäule in bester Lage und unter freiem Himmel gern Anfang Mai wiedereröffnen würde, soll’s nicht scheitern.
Dass es sich bei dem Brunnen, auch wenn er kein Original sondern ein Nachbau ist, nicht in erster Linie um eine Bierquelle sondern um ein Kunstwerk handelt, darauf hat unterdessen die Denkmalpflege hingewiesen. Sie verlangt für die notwendige denkmalrechtliche Genehmigung des Bierbrunnens noch Änderungen an der Theke, die während der Zapfperiode aufgebaut wird. Durch eine optisch andere Gestaltung dieser solle das Brunnenbauwerk auch in dieser Zeit zur Geltung kommen.
Offenkundig haben die Wittenberger (mindestens) ihren Frieden gemacht mit dem neuen, farbigen Marktbrunnen. Es sei jedenfalls keine einzige Beschwerde eingegangen, erklärte die Stadt, ein wenig überrascht. (mz)