Jagdunfall Jagdunfall : Noch viele Fragezeichen bei Gerichtsverhandlung

Wittenberg - Der menschliche Faktor. Wie groß darf er bei professionellen Ermittlern sein, die plötzlich einen ihrer eigenen Kollegen als mutmaßlichen Unglücksschützen vor sich haben? Intensiv nahmen sich die beiden Anwälte des Hobbyjägers die beiden Beamten vor, die an jenem 15. September die ersten Ermittler vor Ort waren.
Der 29-jährige Angeklagte, Polizist wie sie und ihnen gut bekannt, soll zwei Traktoristen durch einen Schuss aus seiner Jagdwaffe, der vermutlich abgefälscht wurde, verletzt haben. Beide am Fuß, einen von ihnen so schwer, dass das Fußgelenk womöglich sein weiteres Leben lang steif bleibt. Mit der Befragung der beiden Polizisten vom Wittenberger Kriminaldauerdienst und zuvor eines Häckslerfahrers, der unmittelbar am Unglücksort arbeitete, wurde am Mittwoch das Verfahren am Amtsgericht fortgesetzt.
Der menschliche Faktor. Wenn der eine - der heutige Angeklagte - im Bewusstsein dessen, dass er sehr wohl geschossen hat, völlig außer sich aufgrund seiner mutmaßlichen Schuld und sogar in Tränen aufgelöst ausruft, „das wollte ich nicht, das wollte ich nicht“ - und zwei andere, von denen sich im Nachhinein herausstellt, dass auch sie Schüsse abgegeben haben, darüber schweigen. Und sich damit quasi als mögliche Verursacher der Verletzungen von vornherein ausschließen.
Die beiden Kriminalisten, der eine befragte die Beteiligten, der andere sorgte für die Fotodokumentation, sahen aufgrund dieser Lage keinen Anhaltspunkt, auch die anderen Teilnehmer an der so genannten Erntejagd zu ihrem eigenen Verhalten zu hören. Dazu kommt, dass sie - gerade weil einer ihrer Kollegen verdächtig ist - die Sache an die Polizeidirektion als vorgesetzte Dienststelle abzugeben hatten. Was sie freilich taten. Woraus sich aber für sie offenkundig die zwiespältige Lage ergab, inwieweit sie nun noch vor Ort ermitteln dürfen, bis ihre Kollegen aus Dessau heran sind.
Nach diesem Verhandlungstag steht nun fest, die Erstermittler haben sich ausschließlich auf den Angeklagten als mutmaßlichen Verursacher der Verletzungen kapriziert, nur seinen Standort genauer unter die Lupe genommen und sich lediglich von den anderen Beteiligten deren Positionen nennen lassen, sie aber nicht weiter auf Relevanz in Bezug auf das Geschehen hinterfragt.
Fast zum Schluss und recht unscheinbar brachte Verteidiger Torsten Buse einen beinahe sensationellen Aspekt ins Spiel: Sowohl der Angeklagte als auch die drei Zeugen des Tages verwiesen auf einen Erdhügel. Den hat er, behauptet der 29-jährige Polizist, als „Kugelfang“ bei seinem Schuss betrachtet. Wie nach dem vorangegangenen Verhandlungstag bereits berichtet, dürfen Jäger bei solchen Einsätzen nie parallel zum Boden schießen, sondern immer entweder schräg zum Boden oder mit einem natürlichen Fangschutz der Kugeln im Hintergrund.
Vom bislang registrierten Standort des Polizisten „hätte der Schuss über den Hügel drüber“ wieder zum Boden gegangen sein müssen. „Bedenken wir, der Einschuss war beim Verletzten ganz unten am Fuß“, so Buse. Von den übrigen Fotos des erstermittelnden Polizisten, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Akte gelandet sind, erhofft er sich noch deutlichere Anhaltspunkte zu den Positionen und mutmaßlichen Schussrichtungen der anderen an der Jagd beteiligten Jäger.
„Wenn ich gewusst hätte, dass das so gefährlich ist, hätte ich sicher aufgehört zu arbeiten“, ,bekennt der Häckslerfahrer, der als erster Zeuge des Verhandlungstages gehört wird. Er schildert recht detailliert den Ablauf der Ernte - wie anfangs eine Schussschneise für die Jäger freigemacht wird.
„Wir sind als Landwirte ja daran interessiert, dass die Jäger Wildschweine jagen“, sagt er. Er beschreibt die Positionen der Beteiligten, so wie er sie wahrnahm. Er beschreibt, wo er wann angehalten habe, um den Weidmännern freies Schussfeld zu lassen und nicht selbst hineinzugeraten. Und er eilte als Ersthelfer zu dem Schwerverletzten. Das Verfahren wird Mittwoch, 27. Juli, fortgesetzt. (mz)