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Gotisches Haus Gotisches Haus: Zu Tisch bei Fürst Franz

Von ilka hillger 08.05.2013, 19:00
Der Speiseraum im Gotischen Haus in Wörlitz erstrahlt in neuem Glanz. Der Park ist um eine Attraktion reicher.
Der Speiseraum im Gotischen Haus in Wörlitz erstrahlt in neuem Glanz. Der Park ist um eine Attraktion reicher. Thomas Klitzsch Lizenz

wörlitz/MZ - Wenn am Esstisch einst die Gespräche verstummten, dann gab es im Gotischen Haus doch immer noch etwas zu sehen. 70 Gemälde schmückten zu Fürstenzeiten und bis ins frühe 20. Jahrhundert das neue Speisezimmer. Unbeobachtet konnte man hier tatsächlich nicht speisen, etlichen gerahmte Porträts schauten mit auf den Teller. Jahrzehnte war dieses Zimmer für Besucher nicht zugänglich, Dienstagnachmittag wurde es wieder geöffnet. Die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz präsentierte damit ein weiteres Etappenziel bei der Restaurierung und Wiederherstellung des Gotischen Hauses in den Wörlitzer Anlagen.

Kein Ort für große Empfänge

Doch an ein Speisezimmer will der Raum gar nicht erinnern. Es fehlt die Tafel, acht Stühle und zwei Marmortische stehen am Rand. Mehr wird es auch nicht gewesen sein, als Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) das Gotische Haus zu seinem bevorzugten Aufenthaltsort im Park machte. „Die Mitten sind selten besetzt gewesen“, nennt Kunsthistoriker Reinhard Melzer damalige Gepflogenheiten. Und ohnehin sei das Gotische Haus nicht der Ort für große Empfänge, sondern eher für intime Mahlzeiten gewesen.

„Man brauchte den Raum ja nicht als Speisezimmer, sondern als Aufbewahrungsort für die Kunst“, sagt Ingo Pfeiffer. Der Referatsleiter Schlösser und Sammlungen bei der Kulturstiftung genießt es, durch diesen Raum zu führen. „Hier kann man Fürst Franz privater und näher erleben als im Schloss.“ Tatsächlich bietet das Speisezimmer nahezu authentisch Einrichtung und Kunst aus Fürstenzeiten. In der Neuzeit hat es noch niemand so eingerichtet gesehen. Blaue Bohlenwände, Holzpaneele, eine bemalte und mit Grafiken behängte Decke, die Bleiglasfenster mit Gustav Adolf zu Pferde - vor rund 30 Jahren verschwand dies alles aus dem Blick der Öffentlichkeit, als nach einem Wassereinbruch der Raum leergeräumt wurde. Feuchtigkeit, Hausschwamm und Anobienbefall hatten das Speisezimmer beschädigt. „Die Restaurierung ist hier immer still und leise gewesen“, erklärt Pfeiffer und meint das gesamte Gotische Haus, an dem seit 2003 gearbeitet wird und wo Schritt für Schritt neue Räume zugänglich werden. Bei der Restaurierung des Speisezimmers konnte man erneut auf die Beschreibung August von Rodes zurückgreifen, und Anhaltspunkte zur Bildhängung fanden sich auf den Wandbohlen. Auf ihnen waren Ziffern vermerkt, die teilweise auch auf Gemälde-Rückseiten standen und Aufschluss über die Platzierung gaben.

Erweitert und neu gehängt

70 Gemälde und 18 Grafiken wurden 1918 für den Raum verzeichnet. 23 davon sind noch in der Kulturstiftung erhalten, 24 in der Anhaltischen Gemäldegalerie. Mit 21 Leihgaben hat diese nun die Neueinrichtung unterstützt, mit weiteren Ergänzungen hängen jetzt 47 Gemälde und 29 Grafiken. Laut Pfeiffer hat sich durch die Restaurierung des Speisezimmers auch in anderen Räumen des Gotischen Hauses viel getan. „Es lohnt sich, wieder hier vorbeizuschauen und Neues zu entdecken“, rät er. Rund 100 Gemälde seien umgehängt worden. Besonders bemerkenswert ist, dass durch die Leihgabe der Gemäldegalerie das letzte Werk, das der Herzog 1817 für das Gotische Haus beschafft hat - die Kopie eines Devotionsaltars -, nun wieder im Kriegerischen Kabinett an alter Stelle zu sehen ist.

Nur eines bleibt der Öffentlichkeit vorenthalten: Die Falltür im Speisezimmer ist zu. Der Treppe darunter fehlen die Stufen. Einst trugen Diener durch die Bodenluke die Speisen. „Aber wie der Mechanismus funktionierte, ließ sich noch nicht rekonstruieren“, so Restaurator Robert Hartmann.