Geschichte in Wittenberg Geschichte in Wittenberg: Echtes Schwergewicht voller Inschriften vorgestellt

Wittenberg - Die ältesten Inschriften Wittenbergs finden sich, wie könnte es anders sein, in der Stadtkirche. In Sandstein gehauene Buchstaben in den Schlusssteinen des Haupt- und Seitenschiffes sind es, die den Abbildungen darauf zusätzlich die Kraft des geschriebenen Wortes geben. Dieses steinerne Zeugnis steht unter der Nummer eins eines Werkes über „Die Inschriften der Stadt Wittenberg“.
Insgesamt 552 Katalognummern gibt es in dieser Neuerscheinung, die am Freitag in Wittenberg präsentiert wurde. Ein monumentales Werk mit 845 Seiten liegt damit vor, das von einzelnen Buchstaben bis zu mehrseitigen Lobgedichten so ziemlich alles erfasst, was vor allem in der Altstadt bis Ende 1650 auf Stein, Putz, Metall, Gemälden, Glas, Holz und anderen Werkstoffen geschrieben wurde.
Akribische Auswertung
Der Band versammelt nicht einfach nur das zumeist im öffentlichen Raum geschriebene Wort. Die Wissenschaftler haben wirklich alles akribisch ausgewertet: das Alter, die Buchstabengröße, bei steinernen Inschriften auch die Tiefe; Schwünge und Schnörkel. Die oft gebräuchlichen Abkürzungen sind ergänzt und erläutert, lateinische und althochdeutsche Texte übersetzt, alles ist datiert und mit Querverweisen versehen. Dazu gibt es umfangreiche Kommentare mit weiteren Hinweisen zu Wappen und biografischen Details zu Personen.
Kurzum, es ist eine andere Form, wie Stadtgeschichte erlebbar gemacht wird. „Diese Inschriften sind eine historische Quellengattung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen und sollten, wenn wir Geschichte schreiben“, sagt Franz Jäger. Der Kulturhistoriker hat gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern über sechs Jahre an diesem Band gearbeitet, hat in der Stadt erhaltene Inschriften erfasst und darüber hinaus umfangreich Literatur ausgewertet. „Etwa zwei Drittel der Inschriften in Wittenberg sind kopiale Überlieferungen“, fasst es Jäger zusammen.
Es gehe in dem gesamten Projekt um das „Erschließen, Sichern und Vergegenwärtigen des kulturellen Erbes“, so Wolfgang Huschner, Sekretar der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig am Freitag. Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) betont, dass „vergangene Ereignisse keine Halbwertszeit haben, Geschichte ist nie luftdicht und abgeschlossen“.
Die seit über 75 Jahren bewährte chronologische Struktur der Bände mag manchen vielleicht verwirren. Doch lässt das Register mit diversen Suchkriterien keine Wünsche offen. Ob nach Standorten, Personen, Berufen, Redewendungen oder Inschriftenträgern - jeder kann ohne Mühe das herausziehen, was er sucht. Das können Glockeninschriften wie jene der Marienglocke in der Stadtkirche oder jene der ehemaligen Pauluskapelle sein, aber auch die Inschriften an den Wänden des Hauses Markt 3 sowie in der Alten Canzley.
Auch neuere Funde
Interessant sind auch jene Dinge, die nicht mehr in Wittenberg zu finden sind. Die Nummer 278 zum Beispiel beschreibt einen gläsernen Humpen mit farbiger Emailmalerei, der 2011 bei Ausgrabungen auf dem Arsenalplatz in Scherben gefunden und größtenteils restauriert werden konnte. Der Fund befindet sich im Depot des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Halle. Der Humpen trägt die Jahreszahl 1585 und neben den Wappen die Buchstaben F C V. Für den Laien unverständlich, lautet die Inschrift übersetzt: „Vertraue, (aber) achte darauf, wem.“
Es finden sich erhaltene Grabmale darin wie für die Kurfürsten Friedrich den Weisen und Johann den Beständigen in der Schlosskirche. Andere Grabmale, etwa für Johannes Wanckel, geboren in Kemberg als Sohn des Theologen Matthias Wanckel, und seine zweite Ehefrau Anna Maria Wanckel, sind verloren. Sie hatten sich auf dem Kirchhof der Stadtkirche befunden Die Grabinschriften sind indes überliefert.
Eines steht fest: Ein mit solcher Leidenschaft und Akribie zusammengestelltes und herausgegebenes Werk verdient einen ebenso leidenschaftlichen Leser. Dabei ist es unerheblich, ob es als Quelle für weitere wissenschaftliche Arbeit dient (was wahrscheinlich ist) oder an kalten Winterabenden das bequeme Studium der Wittenberger Geschichte ermöglicht, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen.
Langjährige Reihe
„Die Deutschen Inschriften“ ist ein Gemeinschaftsprojekt von sechs wissenschaftlichen Akademien in Deutschland sowie der österreichischen Akademie. In den 1930er Jahren initiiert, liegt mit Wittenberg Band 107 vor. Erschienen ist die Reihe im Dr. Ludwig Reichert-Verlag Wiesbaden. Der Wittenberg-Band (ISBN 978-3-95490-437-2) umfasst neben 845 Seiten 68 Tafeln mit 206 Abbildungen. Preis: 110 Euro (mz)
