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Gehörlosenverein Wittenberg Gehörlosenverein Wittenberg: Reden mit Händen und dem Gesicht geht auch

Von andreas benedix 12.10.2015, 18:28
Vereinschef Uwe Kapper mit seiner Tochter Maja-Emma, auch gehörlos
Vereinschef Uwe Kapper mit seiner Tochter Maja-Emma, auch gehörlos benedix Lizenz

wittenberg - 40 Frauen und Männer sitzen gemütlich beisammen. Sie trinken Bier, Limonade oder Kaffee. Einige sind ausgelassen und fröhlich, andere machen ernste Gesichter. Dabei herrscht ungewöhnliche Stille. Außer dem Klappern von Gläsern, Tellern und Tassen ist lediglich ab und zu ein herzhaftes Lachen zu vernehmen. Mit Händen, Armen und Fingern gestikulierend sowie mittels einer ausgeprägten Mimik scheinen sich jedoch alle bestens zu unterhalten.

Im Gehörlosenzentrum in der Dessauer Straße 13 haben sich am Samstag Mitglieder des Gehörlosenvereins Wittenberg zusammengefunden, um ihren „Tag der Gehörlosen“ zu feiern. Vereinsvorsitzender Uwe Kapper geht von Tisch zu Tisch und kommuniziert in Gebärdensprache. 64 Gehörlose sind derzeit im Verein organisiert und nutzen die Möglichkeit, sich regelmäßig auszutauschen sowie an Veranstaltungen wie Ausflügen, Bowlingabenden oder politischen Gesprächen teilzunehmen.

Dolmetscher kostet

„Hier fangen die Schwierigkeiten bereits an. Dazu bedarf eines Dolmetschers, der bezahlt werden muss“, übersetzt Gebärdensprachdolmetscherin Andrea Schmegel der MZ die Gesten von Uwe Kapper. Trotzdem sei es bisher immer gelungen, die entsprechenden Mittel aufzubringen, um ein interessantes und abwechslungsreiches Vereinsleben zu gewährleisten. Ein besonderer Dank gelte auch daher dem Bundestagsabgeordneten Ulrich Petzold (CDU), Ehrenmitglied des Vereins. Kapper nennt Situationen, die charakteristisch für ein Leben ohne akustische Wahrnehmungen sind. Etliches sei seit dem Fall der Mauer und Dank moderner Technik besser geworden. Trotzdem sei die Bewältigung vieler Situationen für die betroffenen Menschen nicht einfach.

„Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Gehörlose, die ihren angestammten Arbeitsplatz verloren haben, kaum mehr eine Chance auf eine neue Anstellung besitzen. Die meisten Arbeitgeber sind im Umgang mit solchen Menschen unsicher und haben Vorbehalte“, so Uwe Kapper. Aber auch alltägliche Begebenheiten können zu großen Problemen führen. Aus eigener Erfahrung kennt der Gehörlose die diesbezüglich ungenügenden Verhältnisse in und um öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere der Bahn. „An Rollstuhlfahrer wird meist gedacht, an uns kaum. Durchsagen können wir nicht wahrnehmen. Leider fehlt es vielfach an optischen Anzeigen, sowohl auf Bahnhöfen als auch in den Zügen“, konstatiert er. Auch im Namen seiner Mitglieder hofft der Vereinsvorsitzende in diesem Zusammenhang auf eine entsprechend behindertengerechte Gestaltung des neuen Wittenberger Hauptbahnhofes.

Kapper verdeutlicht jedoch auch, wie moderne Technik zum wertvollen Helfer wird. „Das beginnt schon mit der Kommunikation. Telefonieren ist für uns nicht möglich. Eine große Erleichterung brachte da die Möglichkeit, sich per E-Mail austauschen zu können“. Fortschritte sieht er ebenfalls bei den Medien. Immer mehr Fernsehsendungen würden mit Untertiteln ausgestrahlt. Ein Wermutstropfen sei dabei jedoch, dass diese oftmals von eingeblendeten Nachrichten überdeckt würden.

Bei der Feier bekommen 14 Personen Urkunden und Präsente für langjährige Mitgliedschaft. Kapper wird ein besonderer Dank zuteil: Seit 35 Jahren kann er auf eine ununterbrochene Vorstandsmitgliedschaft verweisen.

Früher Menschen zweiter Klasse

Der Wittenberger Gehörlosenverein wurde 1911 gegründet. Damals wurden Taube oft als Menschen zweiter Klasse betrachtet. Mutige Betroffene wie Gründer Reinhard Barthel erkannten, dass sie sich nur vereint öffentlich Gehör verschaffen können. An der Zielsetzung hat sich nichts geändert. (mz)