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Gastronomie in Wittenberg Gastronomie in Wittenberg: Feiern ohne Sperrstunde

Von Ilka Hillger 05.02.2015, 09:10
Wenn es dämmert, leeren sich auch Wittenbergs Straßen.
Wenn es dämmert, leeren sich auch Wittenbergs Straßen. Klitzsch Lizenz

Wittenberg - Einfach mal die Nacht durchmachen und in der Kneipe vom letzten Bier und Schnaps direkt zum ersten Morgenkaffee übergehen - kein Problem. In Sachsen-Anhalt ist mit Jahresbeginn die Sperrstunde gefallen. Besenstunde nannte man diese gesetzliche vorgeschrieben Schließzeit zwischen fünf und sechs Uhr auch, 60 Minuten, um - wenn man es denn als Wirt so wollte - die Gaststube wieder auf Vordermann zu bringen und Gelegenheit, die hartnäckigsten Gäste vor die Tür zu setzen. Seit ein paar Tagen ist es laut der neuen „Gefahrenabwehrverordnung über die Festsetzung der Sperrzeit für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten“ gänzlich egal, wann man kehrt, die Gaststätte öffnet oder schließt. Es entscheidet vorerst das Durchhaltevermögen des Wirts und das seiner Mitarbeiter und natürlich auch das der Kundschaft. Das Land überlässt es fortan den Kommunen, über die Einrichtung von Sperrzeiten in den Räumen von Gastwirtschaften zu entscheiden. Lediglich für Jahrmärkte und Volksfeste, für Veranstaltungen im Freien oder in Festzelten und für Biergärten sind in der Verordnung mit dem langen Namen Vorschriften aufgelistet, die in ganz Sachsen-Anhalt gelten.

„Das ist für uns kein Thema“

Kennt das Nachtleben im Landkreis Wittenberg nun keine Grenzen mehr, wird durchgezecht bis der Morgen graut? Eher nicht.

Die Nachtruhe der Anwohner von Gaststätten soll durch die Sperrstunde gesichert werden. Bislang lag deren Gestaltung in Sachsen-Anhalt in den Händen des Innenministeriums. Zuletzt gab es von 5 bis 6 Uhr eine sogenannte Reinigungsstunde. Sie wurde zum 1. Januar dieses Jahres abgeschafft. Den Kommunen bleibt überlassen, Sperrstunden zu definieren oder nicht. Landesweit festgelegt ist eine solche nur für Jahrmärkte und Volksfeste (von 22 bis 6 Uhr), Musik-, Tanz-, Theater- und Filmveranstaltungen im Freien oder Festzelten (von 1 bis 6 Uhr) sowie Biergärten und andere Schenkwirtschaften im Freien (von 1 bis 6 Uhr).

Der ländliche Raum ist diszipliniert, da sind sich die Verwaltungen in den Städten und die Gäste mal einig. Jutta Matthias, Ordnungsamtsleiterin in Oranienbaum-Wörlitz bekennt freimütig: „Da haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Eigentlich ist das für uns kein Thema und wir hatten auch nie Probleme“. Zwar wolle man mal schauen, wie sich die anderen Städte im Landkreis verhalten, aber prinzipiell findet sie, „das lohnt sich im ländlichen Raum nicht, bei uns ist doch alles ruhig“.

So ruhig, dass beispielsweise in Bad Schmiedeberg um zehn die meisten Gaststätten schließen. „Da sind die Kurgäste im Bett“, sagt Amtsleiter Klaus-Dieter Kluge. Sein Kollege Thomas Schneider in Coswig registriert auch ohne Kurgäste Schließzeiten vor Mitternacht. „Wir lassen es ruhig angehen und haben uns deshalb noch keine Gedanken dazu gemacht“, sagt er. Ins gleiche Horn bläst Petra Helbig, die Leiterin des Gräfenhainichener Gewerbeamtes. „Ich kenne keine Gaststätte, die bisher bis fünf Uhr offen hatte“, sagt sie und nennt die bisherige Regelung doch „eleganter“, denn „da wusste jeder, bis hierhin und nicht weiter“. Lediglich in Ferropolis gebe es in ihrem Bereich Veranstaltungen, die auch in der Nacht stattfinden, doch ohnehin arbeite man da mit Sondergenehmigungen.

Solche gibt es auch in Wittenberg, beispielsweise beim Stadtfest, berichtet Ordnungsamtsleiter Jörg Bielig. Er sieht für die Lutherstadt „keinen direkten Handlungsbedarf“ und kann sich kaum vorstellen, dass die Wirte nun fortan durcharbeiten lassen, „es gibt ja auch noch den Arbeitnehmerschutz“. Was Bielig hingegen freut, ist die Regelung zu den Biergärten in der neuen Landesverordnung. „Das war bisher ein schwieriger Bereich“, erklärt er. Die Ansage, dass Biergärten generell von ein bis sechs Uhr zu schließen haben, „macht es uns leichter in der Handhabung und Umsetzung“.

Jede Menge Wirbel um Entwurf

Immerhin dies hat die neue Verordnung erreicht, um deren ersten Entwurf es im vergangenen Juli jede Menge Wirbel gab. Damals wollte das Innenministerium die Schließzeiten gar ausweiten und die Türen schon um ein Uhr zusperren lassen. Die Gastrobranche jaulte auf und Innenminister Holger Stahlknecht konnte nur zurückrudern. Nur ein Entwurf, politisch nicht abgestimmt, so hieß es alsbald zu den ersten Ideen. „Wir sind ein gastfreundliches Land“, versicherte der CDU-Minister eilig.

So rigide, wie diese ersten Formulierungen im Papier waren, so freizügig ist nun die endgültige Fassung, die seit 1. Januar gilt. Die Gastwirte kann es freuen oder auch ganz unbeeindruckt lassen. „Ich nehme es zur Kenntnis, aber mein emotionaler Spiegel ändert sich dadurch nicht“, kommentiert Peter Fasbender die neue Verordnung trocken. Er führt das Brauhaus in Wittenberg und nennt Gastwirtschaft und Hotel ein „Haus mit mehreren Gesichtern“. Für ihn war die alte Sperrstunde zwischen fünf und sechs Uhr kein Thema. „Die längsten Familienfeiern gehen bis halb drei“, berichtet er. Auch dass der Biergarten um ein Uhr schließen muss, ärgert ihn nicht, denn „da müssen wir ohnehin Rücksicht auf die eigenen Hotelgäste nehmen“.

Rücksicht ist auch das Zauberwort auf dem Dorf. „Hier regelt sich doch vieles von alleine“, sagt Heidrun Hahn vom Kartoffelgasthaus in Cobbelsdorf: „Wir sind keine Gaststätte, in der man die Nacht durchfeiert.“ Im „Goldenen Fasan“ in Oranienbaum sieht das Gerlind Jung ähnlich. „Bis um fünf hat es bei uns noch keiner geschafft, noch nicht mal die Karnevalsvereine.“ Selbst im Biergarten ist nach 22 Uhr kaum noch Betrieb. „Danach passiert hier nichts mehr.“

Verschnaufpause ist wichtig

Wo aber passiert nach der Geisterstunde - abgesehen von Diskotheken - im Landkreis überhaupt noch etwas? Bleibt in Wittenberg noch das Independent in der Collegienstraße, wo im Sommer doch der eine oder andere Gast schon die Vögel auf dem Heimweg zwitschern hört. „Zu uns kommen noch etliche, wenn andere zumachen“, weiß Henriette Schüler. Hier ließe sich also zwischen fünf und sechs Uhr noch am ehesten ein Gast treffen. Aber dafür müssten die beiden Besitzerinnen mitspielen. Die aber brauchen auch künftig die Verschnaufpause, um den Laden sauberzumachen. Denn auch wenn der letzte Gast nun um vier, um sechs oder sonst wann geht, zehn Uhr öffnet sich die Tür wieder für einen neuen Tag hinter dem Tresen. Und der ist meist anstrengend - ob nun mit oder ohne Sperrstunde. (mz)

Nicht durchgefeiert wird bei Gerlind Jung im "Goldenen Fasan" in Oranienbaum.
Nicht durchgefeiert wird bei Gerlind Jung im "Goldenen Fasan" in Oranienbaum.
Klitzsch Lizenz