Für mehr als 100 Kleinst-Unternehmer Für mehr als 100 Kleinst-Unternehmer: SKW und Stadtwerke spenden 608.000 Euro
Wittenberg - Dschungel auf 1.000 Quadratmetern: Am Eingang der Schmetterlingshalle schlägt feucht-warme Luft dem Besucher entgegen. Zuerst fällt der Blick auf eine große Palme. Drei blaue, handgroße Schmetterlinge umkreisen diese. Gibt es wirklich so große Falter?
Als Gast fühlt man sich wie in einem Trickfilm von Disney. „Das sind Morpho peleides oder auch Himmelsfalter genannt“, klärt Georg Kersten Liebold auf. Die Larven habe er aus dem mittelamerikanischen Land Costa Rica importiert. „Solche Schmetterlingsarten gibt es nur in den Tropen.“
Liebold betreibt in Wittenberg eines der wenigen privat geführten Schmetterlingshäuser Deutschlands - etwa 200 Arten züchtet er. Doch die Corona-Pandemie bedroht den Bestand des außergewöhnlichen Zoos. Von Mitte März bis Pfingsten musste der Schmetterlingspark schließen. „Doch auch jetzt fehlen uns Busgesellschaften und Schulklassen“, sagt Liebold.
Mit der staatlichen Sofort-Hilfe konnte er zunächst die hohen Energiekosten für das Tropenhaus decken. Doch das Geld ist aufgebraucht.
Keine Aufträge im Sommer
Damit das Schmetterlingshaus und andere kleine Unternehmen in Wittenberg weiter bestehen können, hat das größte Unternehmen der Lutherstadt, die SKW Stickstoffwerke Piesteritz, eine private Initiative mit dem Namen „Groß hilft Klein“ ins Leben gerufen - welche in Form und Größe in Ostdeutschland wohl einmalig ist.
„Unser Motiv war ein rein kapitalistisches“, sagt Initiator Rüdiger Geserick lächelnd. „Was nützt es uns, wenn wir gut durch die Krise kommen, aber die Stadt bleibt liegen“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung. Die SKW-Gruppe beschäftigt 1.500 Mitarbeiter. „Die Standortqualität wird nicht nur durch unsere modernen Werke bestimmt, dazu gehören auch Kindergärten, Gaststätten und Geschäfte in der Stadt“, sagt der Manager. Nur in einer intakten Region würden langfristig ausreichend Fachkräfte zu finden sein.
Der SKW-Chef ging mit mehr als 300.000 Euro „in der Hand“ zunächst auf die Mitteldeutsche Zeitung zu und fragte, ob sie das Projekt bekanntmachen und begleiten könnte. Der Leiter der MZ-Regionalredaktion im Kreis Wittenberg, Thomas Liersch, übernahm die Projektsteuerung.
Es wurden Kriterien aufgestellt, wer sich beteiligen kann. So wurden nur Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern aus Wittenberg und Piesteritz angesprochen. „Entscheidend waren natürlich die dargelegten Verluste durch die Corona-Krise“, sagt Liersch. Eine vierköpfige Jury mit Carsten Franzke, Geschäftsführer von SKW Piesteritz, Oberbürgermeister Torsten Zugehör, dem Chef des Gewerbevereins, Thomas Schneider, und Liersch wählte die Unternehmen aus.
Das Unternehmen SKW Stickstoffwerke Piesteritz stellt in großem Umfang Düngemittel für die Landwirtschaft her. Produziert werden aber auch Industriechemikalien wie die Harnstofflösung AdBlue für die Automobil-Industrie. Die Unternehmensgruppe beschäftigt etwa 1.500 Mitarbeiter. SKW erwirtschaftete nach eigenen Angaben zuletzt einen Umsatz von 500 bis 600 Millionen Euro.
Im Jahr 2006 wurde das Unternehmen komplett von dem tschechischen Agrarkonzern Agrofert erworben. Der heutige tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš hat Agrofert gegründet und leitete es lange Jahre. Babiš hat den Konzern nun an einen Treuhänder gegeben. SKW engagiert sich im sozialen Bereich: Das Unternehmen hat in Wittenberg unter anderem drei Kindergärten, eine Feuerwehrwache und eine medizinische Einrichtung gebaut.
„Einfach war das nicht, weil eine Flut von Bewerbungen vorlag und zwar viel Geld zur Verfügung stand, aber nicht unbegrenzt“, so Liersch. Nach Worten des Gewerbevereinschefs Schneider sind die Löcher in den Firmenkassen dramatisch. „Letztlich hat die Jury versucht, jeweils mit einem Betrag zu helfen, der das Überleben der vielen kleinen Unternehmen sichern kann.“
Als das Projekt bereits lief, entschieden die Stadtwerke Wittenberg auch 100.000 Euro zu geben. SKW stockte seinen Betrag noch einmal auf, so dass am Ende 608.000 Euro für mehr als 100 kleine Unternehmen zur Verfügung standen. Die Summen reichen von 2.000 bis 10.000 Euro pro Firma.
3.000 Euro gingen beispielsweise an die Fotografin Cornelia Kirsch. Sie betreibt in 3. Generation ein Fotogeschäft in der Innenstadt. „Das Gros der Einnahmen erwirtschafte ich jedoch mit Fotoaufträgen beispielsweise auf Hochzeiten und Feiern“, sagt die Einzel-Unternehmerin. Als der Lockdown Mitte März kam, hatte sie noch Aufträge abzuarbeiten. „Im April und im Mai wurden jedoch fast alle Termine abgesagt“, schildert die Fotografin die Lage.
Auch sie hat eine staatliche Sofort-Hilfe erhalten. „Doch die ist nur für Betriebskosten, sichert aber nicht den Lebensunterhalt“, sagt Kirsch. Sie lebt nun vom Ersparten. Und derzeit sei noch kein Ende der Krise in Sicht, wie sie es formuliert. Auch für den Sommer und den Herbst würden bisher nur wenige Aufträge vorliegen. „Die meisten Kunden sagen zwar, sie holen ihre Feier im nächsten Jahr nach“, so Kirsch. Eine Garantie dafür gebe es aber nicht.
Ganz ähnlich ist die Situation ein paar Häuser weiter. Dort betreiben die Grafikerin Silvia Topanka-Freihube und der Grafiker Bertram Freihube das Ladenatelier Kunstkonsum. Mit Papierschnitt und Kalligrafie fertigen sie unter anderem Bilder von Wittenberg und Luther. Das Ladengeschäft ist nur eines ihrer vielen Standbeine. Sie stellen Papier-Dekorationen für Hochzeiten her, verkaufen ihre Bilder auf Märkten, Gestalten Programmhefte für Theater und sind als klassische Grafikagentur tätig.
„Normalerweise können wir so Umsatzschwankungen in einzelnen Bereichen gut ausgleichen“, sagt Silvia Topanka-Freihube. Doch in der Corona-Pandemie seien alle Felder gleichzeitig weggebrochen. „So etwas konnten wir uns gar nicht vorstellen“, fügt Bertram Freihube an. Der Umsatz im Mai habe nur bei einem Drittel im Vergleich zum Vorjahresmonat gelegen. Das reicht nicht, um die Kosten für die vierköpfige Familie zu decken.
„Wir leben von unserem Netzwerk“, sagt Topanka-Freihube. Wenn die Cranach-Stiftung eine Ausstellung plane, dann würden sie häufig die Kataloge gestalten können. Daher ist für die Grafiker auch die Initiative „Groß hilft klein“ so wichtig: „In einer Stadt wie Wittenberg arbeiten viele kleine Firmen an Projekten zusammen und vergeben untereinander Aufträge. Wenn da einzelne für immer wegbrechen, dann trifft es auch viele andere unmittelbar.“
Leerstand in Innenstadt
Doch es gibt nicht nur Beifall für das Hilfsprojekt. Einige in Wittenberg werfen SKW und dem tschechischen Mutterkonzern Agrofert, der vom heutigen tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš gegründet wurde, vor, politisch Einfluss gewinnen zu wollen. SKW-Chef Geserick sieht solche Kritik gelassen: „Wenn wir Einfluss nehmen wollen, dann darauf, dass das wirtschaftliche und kulturelle Leben in Wittenberg erhalten bleibt.“
Auch Wittenberg kämpft seit Jahren mit Leerstand in der Innenstadt. Zuletzt zog sich der große Modehändler C&A zurück. Gegen Konzern-Entscheidungen sei die Stadt machtlos, sagt Gewerbevereinschef Schneider. Umso wichtiger ist es für ihn, dass die ortsansässigen Unternehmer die Corona-Krise überstehen.
In Wittenberg hoffen die Kleinunternehmen nun auf die Rückkehr der Touristen. Die großen Reisegruppen fehlen zwar noch, doch die Tagestouristen sind schon da. Das spürt auch der Chef des Schmetterlingshauses, Liebold: „Es geht sehr langsam wieder los, aber es geht wieder los.“
Er hofft auf einen starken Fahrrad-Tourismus auf dem Elberadweg in den Sommerferien. Seinen Zoo will er „irgendwie über das Jahr bringen“. Die 5.000 Euro private Unterstützung helfen ihm dabei. Das Jahr 2020 hat der Unternehmer abgeschrieben, sagt aber auch: „2021 wollen wir wieder profitabel arbeiten.“ (mz)