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Frauenhaus Wittenberg Frauenhaus Wittenberg: Aufnehmen und annehmen

Von Ute Otto 15.12.2014, 11:16
Awo-Fachdienstleiterin Christa Petkus ist verantwortlich für das Frauenhaus. Sie übernimmt dort auch Bereitschaftsdienste.
Awo-Fachdienstleiterin Christa Petkus ist verantwortlich für das Frauenhaus. Sie übernimmt dort auch Bereitschaftsdienste. Achim Kuhn Lizenz

Wittenberg - Die Adresse steht in keinem öffentlichen Verzeichnis. Zwar komme es selten vor, dass ein Mann vor dem Frauenhaus tobt und unter Gewaltandrohung die „Herausgabe“ seiner Frau fordert. Dennoch möchten die beiden Sozialarbeiterinnen den Schutzraum für ihre Klientinnen wahren und auch zur eigenen Sicherheit an dieser Stelle anonym bleiben.

Der erste Kontakt zwischen Hilfesuchenden und dem Schutzhaus kommt immer über Telefon zustande - vermittelt über Polizei, Jugendamt oder andere Behörden, aber auch durch Verwandte und Freunde der Betroffenen, die erkannt haben, dass professionelle Hilfe vonnöten ist. Dass die Frauen aus eigenem Antrieb anrufen, ist eher selten, denn: „Die Frauen, die zu uns kommen, haben einen langen Leidensweg hinter sich. Sie sind psychisch am Boden und wie gelähmt. Sie haben nur noch Angst - um sich und ihre Kinder.“

Manche sind schon einige Tage unterwegs, hatten erstmal anderswo Unterschlupf gesucht, nächtelang nicht geschlafen oder mehrere Tage nichts gegessen. „Schlimm ist es, wenn Kinder dabei sind.“ Denen gilt dann besonderes Augenmerk. Zumal die Frauen selbst zu erschöpft seien, noch die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen.

So werden direkt nach der Ankunft nur die Aufnahmeformalitäten erledigt, ein Nutzungsvertrag wird unterschrieben, die Hausordnung kurz erklärt und dann erhält die Frau den Schlüssel für ihr Zimmer. „Die meisten möchten nur noch zur Ruhe kommen.“

Doch bevor die Klientin sich zurückziehen kann, müssen die Sozialarbeiterinnen immer noch eine schwierige Angelegenheit klären: Ist die Frau misshandelt worden? Möchte sie Anzeige erstatten? Dann steht noch die Arztvisite im Krankenhaus an, auch um Verletzungen zu dokumentieren. „Aber die meisten schrecken vor der Anzeige zurück.“

Gewalt hat viele Gesichter

Die Realität entspricht nicht immer dem Klischee, dass alle Frauen, die im Frauenhaus ankommen, sichtbar grün und blau geschlagen sind. „Wir haben auch viel mit psychischer Gewalt zu tun. Die ist oftmals viel schlimmer, weil subtil“, sagt Christa Petkus, Fachdienstleiterin bei der Arbeiterwohlfahrt, in deren Trägerschaft sich das Frauenhaus befindet. Beschimpfungen, Herabsetzungen, Drohungen, sexuelle Misshandlung... „Es ist erschreckend, was Frauen jahrelang mit sich machen lassen.“

Das ziehe sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. „Wir hatten auch schon Frauen aus intellektuellen Kreisen.“ Oft sei es für sie die Fortsetzung eines Kindheitstraumas: In dem Wunsch nach Liebe und Bestätigung, die durch die Eltern verwehrt blieben, suchen sie nach einer vermeintlich starken Schulter und geraten so in verhängnisvolle Abhängigkeiten. Den Teufelskreis zu lösen, so die Sozialarbeiterin, „das können wir nicht leisten. Dafür braucht es die Psychotherapie.“ Es gibt auch Klientinnen, die nach wenigen Tagen bei Nacht und Nebel verschwinden - und wenige Tage später doch wieder vor der Tür stehen. Vorwürfe gibt es deswegen nicht: „Wir begegnen den Frauen auf Augenhöhe. Sie werden angenommen mit ihren Sorgen. “

Nach außen offen

Vier Plätze hat das Wittenberger Frauenhaus. Neben dem abgeschlossenen Wohnraum für jede Klientin gibt es eine Gemeinschaftsküche und einen Aufenthaltsraum. Die Bewohnerinnen können ihren Tag selbst gestalten, gehen wohin sie wollen. Finanziert wird das Haus von Land und Kreis, doch das Geld reicht gerade für die Personalkosten. 1,5 Stellen werden dem Träger für die vier Plätze zugestanden. Um die ohnehin schon große Belastung für die beiden Kolleginnen nicht ausufern zu lassen, nimmt auch Christa Petkus nach Feierabend zuweilen das Bereitschaftshandy mit nach Hause.

Doch ist nicht immer, wenn es nachts halb zwei klingelt, wirklich Gefahr in Verzug: „Es gibt auch Klientinnen, die meinen, es sei der richtige Zeitpunkt, sich mal alles von der Seele zu reden.“ Die Sozialarbeiterinnen sind sehr wohl für die Sorgen der Frauen ansprechbar. „Aber in solchen Fällen brechen wir das ab mit dem Angebot, das Gespräch tagsüber fortzusetzen“, so Petkus. „Wir müssen das so machen, unsere Arbeit ist kräftezehrend.“ Es gehöre zur Professionalität von Sozialarbeitern, zu wissen, wann Feierabend ist.

Und auch wenn sie nachts aus den Federn mussten, um ins Frauenhaus zu fahren und eine Schutzsuchende aufzunehmen, am nächsten Tag geht der Dienst normal weiter. Die Sozialarbeiterinnen führen Gespräche mit den Frauen, begleiten sie zum Einwohnermeldeamt - wenn Job- oder Sozialamt die Wohnkosten finanzieren, müssen die Betroffenen ihren Wohnsitz ummelden. Nur selten können die Frauen ihre Wege zu Behörden, Vermietern, Banken usw. eigenständig erledigen. „Sie sind durch jahrelange Erniedrigung unfähig geworden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.“ Außerdem vermitteln die Sozialarbeiterinnen weitere Hilfsangebote.

Kein Hass gegen Männer

Mit einem Vorurteil wollen Petkus und die Sozialarbeiterinnen aufräumen: „Wir sind keine Männerhasserinnen.“ Wenn es die Partner wollen, werden sie in die Konfliktlösung einbezogen. Mitunter sei es nicht Machtanspruch, sondern Machtlosigkeit, die Männer ausrasten lässt, weil sie am Ende überfordert sind. Wie im Fall einer jungen Familie, wo der Mann die Woche über auf Montage schuftete, seine Frau aber allein zu Hause nicht in der Lage war, den Haushalt zu führen und für die Kinder zu sorgen. Manchmal geht Gewalt auch von Frauen aus - gegen Mütter oder Töchter. Dass die sich in gleichem Maße gegen Männer richten kann, wissen Christa Petkus und ihre Kolleginnen ebenso. „Aber unsere Aufgabe ist es nun mal, für Frauen da zu sen.“

Zwischen 20 und 30 sind es pro Jahr, die Aufnahme finden. Etwa drei Wochen beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer, an deren Ende nur zwei Möglichkeiten stehen: Die Frau zieht in eine eigene Wohnung oder sie geht zu ihrem Mann zurück. Auch wenn sich die Klientin zu letzterem entscheidet, respektieren das die Sozialarbeiterinnen. Enttäuscht sind sie nicht. „Wenn wir das Gefühl haben, dass es sich lohnt, einen Neuanfang zu wagen, ist das für uns sogar ein kleiner Erfolg.“ Über 90 Prozent der Klientinnen nehmen die Nachbetreuung an, die die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses ebenfalls leisten. (mz)