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Evangelische Kirche Wittenberg Evangelische Kirche Wittenberg: Eine Augenbinde für Luther

Von Corinna Nitz 11.11.2015, 09:46
Die Augenbinde (kleines Foto) war am Montag schnell wieder weg vom Luther-Denkmal in Wittenberg. Am Dienstag folgten die Blumen: Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren.
Die Augenbinde (kleines Foto) war am Montag schnell wieder weg vom Luther-Denkmal in Wittenberg. Am Dienstag folgten die Blumen: Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren. Baumbach/Archiv/Kuhn Lizenz

Wittenberg - Montagnachmittag hatte Friedrich Kramer wie berichtet dem Luther-Denkmal auf Wittenbergs Marktplatz eine gelbe Augenbinde angelegt. Schon wenige Stunden später, als der Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt mit Stadtkirchenpfarrer Eckhart Friedrich an der Stadtkirche das Pogromgedenken am Mahnmal für die im Zweiten Weltkrieg ermordeten Juden leitete, war der Hauch von Stoff wieder ab. Kramer geht davon aus, dass der Wind die Augenbinde vom Kopf des Reformators geweht hatte. Es habe ihn jedenfalls, als er am Abend des 9. November im Alten Rathaus das Stadtgespräch zum Thema „Asyl als Herausforderung und Chance zugleich“ moderierte, dort auch niemand angesprochen.

Mit der Intervention wollte Kramer, der dem Beirat für christlich-jüdischen Dialog der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) angehört, auf Martin Luthers Blindheit den Juden gegenüber, respektive seinen Antijudaismus aufmerksam machen. Zugleich griff die Aktion, die auch in Erfurt durchgeführt werden sollte, dort aber verboten worden war (siehe dazu auch „Synode diskutiert“), die noch heute an einigen Sakralbauten zu findende Darstellung von Ecclesia und Synagoga auf. Die Figur der Synagoge trug eine Augenbinde, ihr gegenüber stand die „schauende Kirche“ (Kramer).

„Wir müssen eine klare Position finden, was wir 2017 feiern“

Man kann das wohl auch ein Überlegenheitsgefühl des Christentums nennen. Insoweit betont Kramer, dass nicht nur Luther blind war, sondern eben auch die evangelische Kirche. Erst recht, wenn man Luther als „Sinnbild“ dieser Kirche betrachte. Dass man sich, gerade auch in protestantischen Kreisen, mit Luthers Antisemitismus auseinandersetzt, ist nun freilich nicht neu. Doch habe man diesbezüglich ein „Außenwahrnehmungsproblem“. Und schließlich werden auf der Zielgeraden zum Reformationsjubiläum 2017 auch die Stimmen lauter, die eine Vertiefung der Auseinandersetzung fordern - und wohl auch eine Abgrenzung. „Wir müssen eine klare Position finden, was wir 2017 feiern“, so Kramer. „Luthers Antijudaismus ist es nicht.“ Er spricht auch vom gewaltbereiten Luther, der bekanntlich nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen den Islam und die Bauern gewettert hat.

Auf der anderen Seite war er mutig wie nur wenige andere und blieb standhaft auch gegenüber Papst und Kaiser. All dies mache ihn „menschlich“, und man müsse das zusammendenken. Die Evangelische Akademie, bekräftigt Kramer, stehe dafür bereit. Die EKM auch, deren Beirat für christlich-jüdischen Dialog gerade an einem Positionspapier arbeitet, in dem es auch heißt, dass dieser Dialog „zu unserem Auftrag gehört“. Man hoffe „trotz der Schuld unserer Kirche auf vertrauensvolle Begegnungen“. Genauso wichtig sei die Arbeit nach innen. So biete man „Tora-Lerntage“ für kirchliche Mitarbeiter an, bei denen u. a. nach gemeinsamen Wurzeln etwa bei religiösen Festen geschaut wird und danach, „wie sich das aufeinander bezieht“.

Mehr Fotos stehen im Internet:www.mz-web.de/wittenberg. (mz)

Die Augenbinde (kleines Foto) war am Montag schnell wieder weg vom Luther-Denkmal in Wittenberg. Am Dienstag folgten die Blumen: Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren.
Die Augenbinde (kleines Foto) war am Montag schnell wieder weg vom Luther-Denkmal in Wittenberg. Am Dienstag folgten die Blumen: Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren.
Baumbach/Archiv/Kuhn Lizenz
Friedrich Kramer
Friedrich Kramer
Baumbach/Kuhn Lizenz