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Ein Fachwerkbau, der allen Wirren trotzte

Von H.-DIETER KUNZE 13.12.2009, 18:37

SEYDA/MZ. - Erst 1997 zog wieder Leben in das Häuschen ein. Seit dem ist es Domizil des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM). Im Landkreis gibt es bisher nur noch in der Lutherstadt Wittenberg einen solche "Niederlassung".

Seydas Pfarrer Thomas Meinhof hat sich intensiv mit der Historie des Gebäudes befasst. Errichtet wurde es um 1740, nach dem verheerenden Stadtbrand von 1708, bei dem 23 Bürgerhäuser und die Kirche abbrannten. Nur das unweit stehende Amtshaus blieb verschont. Bewohnt war das kleine Gebäude jahrzehntelang von einem "Häusler". Er hatte nichts weiter als diese kleine Bleibe, aber immerhin ein Dach über dem Kopf. In den 1930er Jahren lebten gleich drei Mietparteien darin. Dabei hat es nur zwei niedrige Stuben, zwei Kammern und einen Flur.

Einer der Bewohner war damals der Maurer Max Hecking. Wegen seiner Gesinnung, er war Kommunist, wurde er von den Nazis festgenommen. Die alten Seydaer berichten von einer grausamen Behandlung des Mannes, er soll sogar mit Ketten geschlagen worden sein. Danach kam er in ein KZ. Max Hecking überlebte diese schlimme Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er heim. Derjenige, der ihn einst verpfiffen hatte, bat ihn nun inständig, ihn nicht zu verraten. Sonst wäre er in eines der berüchtigten Lager des sowjetischen Geheimdienstes NKWD gekommen. Max Hecking, so fand es Pfarrer Meinhof heraus, soll mit einem Satz aus dem Glaubensbekenntnis geantwortet haben: "Er (Jesus) wird richten die Lebenden und die Toten. Geh nach Hause, ich verrate dich nicht."

Letzte Bewohner des Häuschens waren bis 1995 die Eheleute Klump. Danach wurde überlegt, das Haus abzureißen. Es gehörte Seyda, damals war der Ort noch eine eigenständige Stadt. Aber zum Glück wurde ein solcher Beschluss nie gefasst, gehört doch das Fachwerkhaus einfach zum Ortsbild. 1997 wurde in der evangelischen Kirchengemeinde der CVJM Seyda gegründet. Die Stadträte beschlossen, das Haus am Kirchplatz 3 dem Verein zur Nutzung zu überlassen. Die jungen Leute waren voller Elan und begannen mit der Renovierung, zuerst der Fenster. Thomas Schudde hatte das organisiert. Er war damals noch Schüler, bald darauf erster Vorsitzender des CVJM Seyda. In der Tischlerwerkstatt seines Großvaters wurden die Arbeiten fachgerecht erledigt.

Als das Werk vollbracht war, wollten plötzlich Immobilienmakler das Häuschen kaufen. Der CVJM war schneller, erwarb das Fachwerkgebäude für eine symbolische Mark. Dann legten die jungen Leute richtig los. Einige brachten ihre Kenntnisse, die sie in der Lehrzeit erworben hatten, ein. Maurer-, Tischler-, Dachdecker- und Sanitärarbeiten wurden erledigt. Nur die Elektroarbeiten übernahmen Fachfirmen. Unterstützung gab es dabei sogar von einer mit Seyda befreundeten Kirchengemeinde aus Mainz.

Junge Handwerksmeister aus der Jessener Region förderten die Sanierung sowohl mit Beratung als auch tatkräftig. Der Erfolg war umwerfend. 1999 gewannen die jungen Christen aus Seyda durch ihre Aktivitäten den ersten Preis beim deutschlandweiten Wettbewerb "Einen CVJM gründen". Das Preisgeld von 5 000 D-Mark überreichte CVJM-Generalsekretär Ulrich Parzany persönlich.

Im Jahr 2000 zog ins Obergeschoss die "Denkfabrik" ein. Sie gestaltet und aktualisiert die Homepage für Seyda (www.seyda.de
). Im unteren Raum treffen sich regelmäßig die Jugendlichen. Auch die "Bibeldetektive", Kinder zwischen acht und elf Jahren, nutzen das Haus. Ab und an finden hier sogar Kindergottesdienste statt. Seit dem Sommer dieses Jahres ist die obere Etage vermietet an "Sackwitz Fotografie". Mit den Mieteinnahmen können die laufenden Kosten des Vereins gut gedeckt werden, so Pfarrer Meinhof.

Ein Höhepunkt war 2005 der Besuch einer Gemeindegruppe aus Seattle in den USA, mit der die evangelische Kirchengemeinde Seyda freundschaftliche Kontakte pflegt. Gemeinsam sanierten Amerikaner und Deutsche den Fachwerkbau mit Lehm aus Naundorf und Stroh aus Mellnitz. Kundige Anleitung gab es vom Restaurator Markus Schulz aus Dresden.