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Der Gebratene-Täubchen-Züchter

Von Irina Steinmann 24.10.2007, 17:37

Rahnsdorf/MZ. - Das Land, in dem einem gebratene Tauben in den Mund fliegen, gab es auch damals nicht, oder jedenfalls nur auf den Gemälden der Alten Meister, aber es gab eben doch, hin und wieder, gebratene Tauben auf dem Speiseplan. Und heute? Gibt es, wohlgemerkt auf insgesamt niedrigem Verzehrniveau, einen Stadt-Land-Unterschied. Andy Rudolph erzählt vom Taubentest. Biete im Dorf welche an, und man wird dich bloß fragen: Wie viele hast du und was willst du dafür haben? Machst du dasselbe in der Stadt, wo man die Taube allgemein nur als stark kotende Plage kennt, wird man dir wahrscheinlich erstaunt antworten: Ach, die kann man essen? So ist die aktuelle Situation, in Deutschland. Andere Völker, Franzosen, Italiener, das muss man hinzufügen, sehen das völlig anders.

Andy Rudolph stammt vom Land, aus Hohndorf bei Prettin, um genau zu sein, und Tauben hat sein Vater, als Hobbyzüchter, schon immer gehalten. Und gelegentlich aß man die dann natürlich auch auf bei Rudolphs. Täubchen, sagt der 24-Jährige, schmecken ein bisschen wie Wild und ihr Fleisch ist auch schön mager, was bekanntlich gern gesehen wird heutzutage (siehe "Eigengeschmack"). Andy Rudolph war jung, arbeitslos seit vier Jahren und nach "700, 800" Bewerbungen als Bürokaufmann, eine Menge, die man getrost mit waschkörbeweise übersetzen darf, reichlich desillusioniert. Zu allem Überfluss erwischte ihn auch noch die Pleite der Zeitarbeitsfirma "maatwerk".

"Irgendwann", so aber fangen glückliche Wendungen an, "saß ich mit meinem Vater im Stall." Und plötzlich stand die Frage im Raum: "Kann man mit Tauben Geld verdienen?" Andy Rudolph begann zu recherchieren und war bald überzeugt davon, dass man das kann, und so wird er, wenn die letzten Hürden genommen sind, in wenigen Wochen der erste Züchter von Fleischtauben im Landkreis Wittenberg sein (und noch ein ganzes Ende darüber hinaus). Ein leer stehendes Gehöft zur Miete wurde in Rahnsdorf gefunden, das ist ein dörflicher Ortsteil der Stadt Zahna am Flämingrand, und schon im nächsten Frühjahr, April oder Mai, könnten die ersten Tauben von Rahnsdorf aus in die Bratpfannen der Wittenberger wandern.

"Die Nachfrage wächst und der Markt ist bei weitem nicht gesättigt", fast Andy Rudolph das Ergebnis seiner Marktanalyse zusammen. Mit 60 Paaren will er beginnen und in acht Jahren dann, mit maximal 1 000, von seiner Hände Arbeit leben können. Man darf sich die Fleisch- oder auch Nutztauben übrigens nicht so vorstellen wie Straßentauben, erläutert der Existenzgründer. Erstere haben deutlich mehr Fleisch auf den Rippen und bringen mit 800 bis 900 Gramm Lebendgewicht mehr als das Doppelte auf die Waage.

Im November will Andy Rudolph, zunächst allein, mit dem Ausbau der Stallung zu Taubenschlägen beginnen, von denen einer jeweils 15 Quadratmeter groß sein wird und für 60 Tiere gedacht ist. Eine Massenware, dafür sorgen schon die keineswegs extraordinären Reproduktionsraten der Tiere, sind Täubchen übrigens nicht, weshalb Andy Rudolph nach einigem Hin-und-Her-Rechnen aus Preisgründen auf den Öko-Bonus verzichtet hat. 7,50 Euro, sagt der Business-Plan, wird er nämlich auch so, konventionell, auf jeden Fall nehmen müssen für ein pfannenfertiges 400-Gramm-Täubchen.

Beim Aufbau seiner Taubenzucht wird Andy Rudolph vom Internationalen Bund (IB) in Wittenberg begleitet und unterstützt. Die Taubenfarm ist eine Ausgründung aus dem Jugendbetrieb des IB (siehe "Eine Bedingung..."), mit dessen Hilfe sich der junge Mann, der mit einer Behinderung an den Händen zur Welt kam, seit Monaten intensiv auf seine neue Existenz als Selbständiger vorbereitet hat.

"Sie bewerben sich doch bestimmt!", hatte IB-Chef Michael Werner den früheren Azubi ermuntert, als die Ausschreibung lief. Irgendwie, erzählt Andy Rudolph, haben sie ihn beim IB dann aber alle in einem Büro-Job gesehen, das sei noch beim Assessment-Center im Bildungszentrum Schloss Kropstädt so gewesen. Er wolle aber viel lieber Tauben züchten, hat er da gesagt - und am Ende ganz offenbar überzeugt. Nun wartet er noch auf das Ja der IB-Zentrale in Frankfurt.

Er wird dann auch in Rahnsdorf wohnen. Man müsse schließlich dort sein, wo die Tiere sind, findet Andy Rudolph. Und dass er einmal gerne Tierpfleger geworden wäre, wird ihn nicht davon abhalten, die Täubchen selber zu schlachten. Eine Handgriff, nichts für zarte Gemüter.