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Christian Füller spricht über Schule Christian Füller spricht über Schule: Gegen das Vorsortieren der Schüler

Von Karina Blüthgen 08.10.2018, 16:41
Christian Füller
Christian Füller Privat/Füller

Wittenberg - Die Idee dieses Abends war ganz sicher, eine öffentliche Diskussion anzustoßen. Allein der Titel „Muss mein Kind aufs Gymnasium?“ schrie im Grunde förmlich nach einer Auseinandersetzung mit Christian Füller. Doch nach einer Stunde Lesung und einem kurzen gepflegten Meinungsaustausch einiger Weniger wurde, wenn überhaupt, in kleinen Grüppchen geredet am Freitag in der Wittenberger Kulturbotschaft.

Jedem sein Lerntempo

„Mal ein Bildungsthema“, hatte Hausherr Tim Schaffrick die 16 Gäste der Lesung kurz mit einem Halbsatz begrüßt. Und dann legte sich Füller ins Zeug im Kampf gegen die „Unterschichtsfabriken“, so sein Ausdruck für die Hauptschulen.

Der Journalist und Buchautor plädiert leidenschaftlich für Gemeinschaftsschulen, in denen alle Kinder gemeinsam lernen. „Die Grundidee der Gemeinschaftsschule ist, dass nicht alle in gleicher Geschwindigkeit lernen. Jeder hat sein Tempo, es gibt auch nicht mehr den klassischen Frontalunterricht.“

Die Zahl der Gemeinschaftsschulen sei in Deutschland seit dem Jahr 2006 um 300 Prozent gestiegen und setze sich mehr und mehr durch. Dabei stammt die Idee schon aus den 70er Jahren. Anders als im klassischen dreistufigen Schulsystem (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) werden die Schüler nicht vorsortiert.

Jeder wählt lediglich in den Hauptfächern ein Tempo. Jedem ist es dadurch möglich, das Abitur zu erreichen, aber niemand muss das Abitur machen.

„In der klassischen Schule machen die Lehrer Druck, in der Gemeinschaftsschule machen die Schüler selber Druck und wählen ihr Niveau selbst“, so seine Erklärung für die Schulen neuen Typs, die alle drei Schulformen unter einem Dach vereinen. Damit entfällt ein Vorsortieren in lernstarke und -schwächere Schüler. Zu letzteren werden per se meist Kinder von Migranten gerechnet, egal wie gut oder schlecht sie in ihrer Heimat waren.

Genau deshalb hatte Füller am Freitag auch etliche Neuwittenberger eingeladen, die aus Syrien stammen. „Das deutsche Bildungssystem ist zu starr, um solchen Leuten ein Angebot zu machen“, so seine Behauptung. Später schilderte er den Fall eines Roma-Jungen, der sogar in eine Sonderschule gesteckt wurde.

Dieser habe später mit seiner Berufsausbildung den Realschulabschluss gemacht und war mit einer Klage gegen diese Bildungs-Ungerechtigkeit erfolgreich. „Man kann nicht ein zehn Jahre altes Kind in so eine Schule stecken und sagen: Du wirst deinen Weg schon machen“, so Füller.

Gerade die Hauptschulen seien nämlich das Problem, eine „Konzentration von Bildungsverlierern. Es entsteht, wie es der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Jürgen Baumert nennt, ein schädliches Schulmilieu. Die Hauptschulen sind das Ende der Kolonne. Das ist kein Geheimnis, dafür sind sie da“, so Füller, der als Beispiel den Fall Rütli-Schule in Neukölln nannte, die 2006 bundesweit bekannt wurde und sich nach einem Brandbrief zur Gemeinschaftsschule entwickelt hat.

Langer Atem

So eine Umstellung im Schulsystem funktioniere nicht von heute auf Morgen, mahnte Christian Füller. Auch in Sachsen-Anhalt gebe es bereits Gemeinschaftsschulen, eine in Wittenberg, „perspektivisch wird man dort auch Abitur machen können. Meine Erfahrung ist, dass es etwa 20 Jahre dauern wird.“ Schon allein diese Zahl hätte eine gute Diskussionsbasis abgegeben. (mz)