Vereinsleben Bis zu 1.000 Kilometer weit
Wittenberger Taubenzüchter haben arge Schwierigkeiten in der Nachwuchsgewinnung. Auszeichnungen für das Flugjahr 2020 wurden verliehen.

Wittenberg/MZ - „Wir zeichnen heute die Züchter für das Jahr 2020 aus“, freute sich Richard Reiß und präsentierte etliche Urkunden und Pokale. Obwohl es sich bei der Zusammenkunft der Brieftaubenzüchter am Sonntag um eine Nachholeveranstaltung aus dem vergangenen Flugjahr handelte, waren fast alle Mitglieder zum Vereinshaus der Reisevereinigung (RV) Wittenberg gekommen. „Wir zeichnen heute auch die Fluggemeinschaftsmeister aus“, begründet Richard Reiß die Gäste aus den RV Dessau und RV Bitterfeld. „Insgesamt haben wir 48 Mitglieder“, berichtete Reiß, der sich seit Jahrzehnten als Vorsitzender engagiert, „die sich um schätzungsweise 4.000 Tauben kümmern.“ Und dann kommt der mittlerweile 79-Jährige sogleich auf ein allgegenwärtiges Problem zu sprechen. „Wir haben große Nachwuchsprobleme, obwohl es sich um einen Sport mit Tieren handelt“, gibt der Senior zu Bedenken, „Viele Menschen sind doch eigentlich begeistert von Tieren.“
Zweitjüngste ist 49 Jahre alt
Das Durchschnittsalter der RV hat mittlerweile die 60 überschritten. Die 49-jährige Miriam Hartz, die erst seit kurzem in der hiesigen Region lebt, ist nicht nur das einzige neue Mitglied, sondern gleichzeitig auch die zweitjüngste Züchterin der RV. Von einer Jugendabteilung, wie sie in den Kleintierzüchtervereinen durchaus üblich und bekannt ist, kann keine Rede sein. „Wir haben lediglich ein jugendliches Mitglied“, berichtete Reiß. Die gerade mal 13-jährige Paula Polczyk, die am Sonntag aufgrund ihres Familienurlaubs nicht vor Ort sein konnte, beschäftigt sich seit einiger Zeit mit Brieftauben und zeigt sich dabei äußerst geschickt und erfolgreich. „Etliche der Pokale sind für sie“, ließ Reiß nicht ganz ohne Stolz verlauten und deutete insbesondere auf einen Doppelpokal. „Paula ist nicht nur Jugendmeister der RV Wittenberg geworden, sondern auch im Regionalverband Sachsen-Anhalt“, erklärt er bedeutend. Dass es kaum neue Taubenzüchter gibt, liegt in erster Linie sicherlich auch an den Gegebenheiten des Sports. Schließlich benötigt ein durchschnittlich großer Taubenschlag einen gewissen Platz und freilich sind nicht viele Standorte auch wirklich geeignet dafür. „Die Tauben müssen ja auch in die Gegend hineinpassen“, versucht Reiß zu verdeutlichen. Im RV Wittenberg sind Taubenzüchter aus insgesamt acht Vereinen organisiert. Sie nehmen jedes Jahr mit ihren Tieren an den verschiedenen Flügen teil. „Es gibt jedes Jahr zwölf Alttierflüge und fünf Jungtierflüge“, so Reiß. Im Programm des hiesigen RV werden die Tauben - mit einem kleinen Chip, der die Flugzeit stoppt, versehen - in einer Entfernung von 600 Kilometern herausgelassen. Darüber hinaus gibt es auch Weitstrecken Flüge über 1.000 Kilometer. Die Tiere orientieren sich bei ihrem Heimflug instinktiv an bestimmten Punkten, wie zum Beispiel einem markanten Autobahnkreuz oder einer Kirchturmspitze.
Neuer Transporter für Tauben
So finden die Brieftauben, die als Jungtier ihren Schlag vorerst nur in Sichtweite und dann eben immer weiter verlassen, immer wieder nach Hause. Besonders stolz sind die Mitglieder der RV Dessau und Wittenberg natürlich auf ihren neuen Brieftaubentransporter, der in diesem Jahr für 65.000 Euro angeschafft wurde und eigener Kraft finanziert wurde. „Nach der politischen Wende haben wir schon noch eine Zeit lang Unterstützung vom Land erhalten“, erinnerte er sich, „Zur Förderung des Sport- und Ausstellungswesen.“ So etwas gibt es nun nicht mehr. „Seit bereits längerer Zeit erhalten Vereine für Kleintierzucht keine Fördermittel mehr“, beklagt Reiß. „Obwohl es sich bei der Brieftaube doch sogar um ein Kulturgut handelt.“