Benefiz-Tour gegen Möbius-Syndrom Benefiz-Tour gegen Möbius-Syndrom: Rallye-Kurs Nordkap

Wittenberg - In diesem Sommer wird Constanze Weigel allem davonfahren. Den schrägen Blicken, dem Tuscheln, den Absagen nach Bewerbungsgesprächen, die sie in der Vergangenheit erfahren hat, weil sie ein bisschen anders aussieht als andere.
Die Wittenbergerin wurde mit dem so genannten Möbius-Syndrom geboren, eine vergleichsweise seltene Abweichung von der Norm, die für die Betroffenen insofern sozial ausgrenzend sein kann, als sie insbesondere die Mimik einschränkt oder gar komplett unmöglich macht.
Nur eine Seite
Und „der Mensch“, sagt Costanze Weigel, „guckt nun mal nach der Mimik.“ Die 30-Jährige hat, anders als die meisten Mitbetroffenen, lediglich eine rechte starre Gesichtshälfte, die andere lacht durchaus. Doch ist persönliche Betroffenheit das eine, und der Wunsch, die Öffentlichkeit aufzuklären über eine Weigel zufolge selbst in Ärztekreisen relativ unbekannte Krankheit, das andere.
Weshalb Constanze Weigel in diesen Tagen vor nichts weniger als dem „Abenteuer ihres Lebens“ steht. Binnen zwei Wochen will sie im Auto die Ostsee umrunden, mehr noch: Bis hinauf ans Nordkap soll die Reise gehen. 7.500 Kilometer, „keine Autobahnen, keine Navis“, das sind die Konditionen der 16-tägigen Rallye „Baltic Sea Circle“.
Das Möbius-Syndrom ist ein angeborenes, sehr seltenes Syndrom, bei dem Betroffene vor allem durch Lähmung der mimischen Gesichtsmuskulatur eingeschränkt sind. Die Ursache ist noch nicht genau erforscht, wird aber in einer Schädigung des Hirnstammes vermutet. Die Bewegungen der Gesichtsmimik sind dabei soweit eingeschränkt, dass Lächeln oder Stirnrunzeln nur schwer oder ganz unmöglich sind und das Gesicht einen maskenhaften Ausdruck erhält. Auch Fehlbildungen an Händen, Füßen oder an den Ohren bis hin zur Taubheit sind Symptome des Syndroms, das erstmalig 1888 von dem deutschen Neurologen Paul Julius Möbius beschrieben wurde.
Ein Leben ohne Mimik und mimisches Lachen stößt im sozialen Umfeld immer wieder auf Ablehnung und ist mit Ausgrenzung verbunden.
Sie findet zum siebten Mal statt und hat das Ziel, die Arbeit von Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen, darunter auch die des Vereins „Moebius Syndrom Deutschland“, dem Constanze Weigel angehört und der sich als Symbol die Mona Lisa ausgewählt hat - mit herabgezogenen Mundwinkeln.
830 Euro hat Weigel bisher an Spenden eingeworben, das sind mehr als die 750, die bei Anmeldung zur Rallye - zusätzlich zur Startgebühr - vorliegen mussten, es sollen in den nächsten Wochen aber noch deutlich mehr Spendenmittel zusammenkommen.
Der Verein mit Sitz in Hannover kläre die Öffentlichkeit auf, unterstütze auch Forschungen zum Thema und er veranstalte die „Möbius-Tage“, zu denen die Betroffenen einmal im Jahr in der Nähe von Fulda zusammenkommen. Eine sehr wichtige Veranstaltung, so Constanze Weigel.
Am 16. Juni wird sich die junge Frau, die dafür ihren Jahresurlaub als Online-Marketingmanagerin bei einer Firma in Muldestausee nimmt, in einen Renault Espace setzen. Ihr Ziel ist Hamburg, wo die Benefiz-Rallye am 17. Juni startet, 250 Fahrzeuge insgesamt und die Wittenbergerin als „Team Charly“ im Zeichen des Familien-Mopses, der zu diesem Zweck, auf T-Shirt und Wagen, zu einer Art Kampfmops stilisiert wurde.
Sie ist nicht allein. Spätestens hier ihr muss Vater ins Spiel kommen, Karlheinz Weigel, praktischerweise gelernter Kfz-Mechaniker(-Meister) und: zweifacher Rallye-Meister der DDR.
Rentner Weigel (71), vielen Wittenbergern zuletzt als Tabak-Händler und Gastwirt auf der Touristenmeile Collegienstraße ein Begriff, hat den Familienwagen verkauft und dafür den alten Renault angeschafft, der jetzt und nach der Rallye ebenfalls als solcher dient.
Dank Sponsoren aus dem persönlichen Umfeld wurde der Kombi so umgebaut, dass Vater und Tochter darin übernachten können, und natürlich technisch durchgecheckt. Dass die Rallye-Fahrzeuge mindestens 20 Jahre alt sind, war eine Teilnahmebedingung. Zehn Länder werden die Weigels durchqueren, bevor sie am 2. Juli in Hamburg zurückerwartet werden.
Es geht, so Constanze Weigel, nicht vorrangig um Schnelligkeit. Unterwegs seien diverse Aufgaben zu lösen, die man erst am Start mitgeteilt bekomme, etwa: Bringe Sand von dem und dem Strand mit oder: Organisiere ein Fußball-Match gegen ein norwegisches Team.
Das ist allerhand und selbstverständlich durch Fotos etc. zu belegen. Denn schummeln gilt nicht. Zweimal im Lauf der Tour werden sich alle Teilnehmer treffen, auf den Lofoten (!) und dann noch einmal in Estland.
Vorliebe für Norwegen
Zu dem Zeitpunkt werden sie die erste Russland-Durchfahrt schon hinter sich haben; dafür, und auch für die Etappe Kaliningrad (Königsberg) haben sie die russischen Visa zum Glück bereits in der Tasche. Insgesamt sei der Aufwand sehr hoch gewesen und, das gelte auch für die Kosten, mit einer Urlaubsreise nicht zu vergleichen.
Es wird spartanisch zugehen auf der Reise; wenn nicht gefahren wird, ist Camping angesagt. Besonders freuen sich die Weigels auf Norwegen, ein Land, das sie schon von mehreren Reisen kennen und das sie nicht nur wegen der grandiosen Landschaft, sondern auch wegen der Menschen sehr schätzen.
Aufgrund der vielen Tunnel und Fähren, sagt Karlheinz Weigel, werde Norwegen fahrerisch auch eine Herausforderung: 500 Kilometer pro Tag mögen in Deutschland ein Klacks sein, dort nicht.
Auf dem Fahrersitz wollen sich Vater und Tochter abwechseln. Dank einer Zehenprothese am linken Fuß kann Constanze Weigel im Auto schalten und walten wie sie muss. Sie kam mit nur ganz kleinen Zehen zur Welt, auch dies eine Folge des Möbius-Syndroms. „Wir dachten erst, dass hätte mit Tschernobyl zu tun“, erinnert sich ihr Vater. Es war ja genau in dieser Zeit.
Wer Constanze Weigel auf ihrer Rallye unterstützen möchte, kann für den Verein Moebius-Syndrom Deutschland spenden.
(mz)