Tagebau Bei Nudersdorf fest auf Sand gebaut
Bei der Quarzsand Nudersdorf GmbH steht nun ein Generationswechsel an. Wie das Unternehmen 100 Jahre alt werden will - mindestens.

Nudersdorf - Das Produkt ist steinalt und als Einzelstück komplett wertlos. Deshalb verkaufen sie es auch nur in großen Mengen. 60.000 bis 70.000 Tonnen davon verlassen alljährlich das Firmengelände an der Nudersdorfer Kirchstraße. Unterschiedlich die Körnung, vielfältig der Einsatz. Jürgen Witter und seine Familie haben ihre berufliche Existenz auf Sand gebaut. Jetzt steht bei der Quarzsand Nudersdorf GmbH ein Generationswechsel an: Zum 1. August übergibt Witter senior die Geschäftsführung an seinen Sohn Marko Witter.
Ein „Naturprodukt“
Auf einem Gebiet von insgesamt 225 Hektar - so groß ist die hiesige Vorrangfläche für den Tagebau - holt das Unternehmen nordwestlich von Nudersdorf Quarzsand aus der Erde; sechs Teillagerstätten sind dort bekannt. Geschätzt wird das Material insbesondere in der Baustoffindustrie und von Unternehmen der Baustoffchemie, die es entsprechend weiterverarbeiten. Doch auch in Nudersdorf ist es nicht damit getan, den Quarzsand abzubauen und auf Lkw zu verladen.
„Gewinnung, Aufbereitung und Vertrieb von Spezialsanden“, so lautet der Geschäftszweck. Und so winzig das Sandkorn, so üppig die Dimension der Anlagen, die nötig sind, um aus dem Roh-Stoff das Produkt zu machen, ein „Naturprodukt aus Sachsen-Anhalt“, wie es selbstbewusst in der Firmenwerbung heißt. Vier Kilometer lang ist das Förderband, das den abgebauten Sand - ein Bagger, ein Fahrer - in die eigentliche Produktionsanlage bringt. Dort wird er gewaschen, getrocknet und anschließend durch Rüttelsiebe gejagt, um die jeweils gewünschte Körnung herauszufiltern.
Hat mal wer ’nen Euro? Jürgen Witter und seine Söhne, Marko und Thomas, genießen die Überraschung ihrer Besucher. Mehrere Etagen über dem Erdboden steht moderne Technik in den angejahrten Gebäuden aus den späten 50ern der DDR. Die Siebanlage ist made in USA, von Jürgen Witter erworben 2002 in Buffalo. Damals hatte er die Firma gerade übernommen vom französischen Großunternehmen Lafarge, die wohl mit Abstand weitreichendste Entscheidung seines Berufslebens. Die Münze, hochkant aufgestellt am Rand der im Inneren höllisch rüttelnden Maschine - sie wankt nicht mal. Früher hätten bei dem Prozess selbst die Fenster im Verwaltungsgebäude vibriert.
Elektronisches Gehirn
Freilich ist die Produktion von Quarzsand heutzutage ohnehin nicht mehr so rustikal, wie sich der Laie das vielleicht noch vorstellt. Längst gibt es auch hier ein elektronisches „Gehirn“, das die Anlagen steuert und den Prozess überwacht bis hin zur Abfertigung der Lkw, die die Kunden vorbeischicken oder aber die von der Quarzsand Nudersdorf beauftragten Spediteure. Ein optisches Partikelmessgerät liefert Stichproben - und sorgt allein schon ob der ermittelten Kornzahl - eine Handvoll sind sagenhafte 77.000 Stück, aber eben doch keine Millionen - erneut für einen Aha-Effekt.
Wie früher Wasser oder Bier ist Sand ein eher regionales Produkt. Die meisten Kunden stammen aus der weiteren Umgebung, der Piesteritzer Baustoffhersteller PCI etwa gehört dazu. Im Reigen der deutschen Quarzsand-Hersteller zählen die Nudersdorfer zu den kleinen. Andererseits waren sie aber, und diese Anekdote erzählt Witter gern, das erste solche Unternehmen, das nach der Wende von DDR- in Bundesrecht überführt wurde: Das Dokument über das „Gewinnungsrecht“ trägt die Nummer 1/90.

Überhaupt, die Treuhand, Witter könnte wohl Bände füllen mit diesen und anderen Geschichten. Soll nun aber mal gut sein mit der Vergangenheit. Die Herausforderungen sind schließlich groß genug, findet der Elektroingenieur, der nach dem Studium zunächst bei Wittol angefangen hatte, ausgerechnet im turbulenten Jahr 1989 nach Nudersdorf gewechselt war und dort dann Technischer Leiter wurde.
„Ich habe bis heute nichts bereut“, sagt er nach gut drei Jahrzehnten im Quarzsand, in denen es „Höhen und Tiefen“ gab, letztere die Entlassung von Mitarbeitern, der Abschied vom Zwei-Schicht-System, die Kreditbelastung nach der Übernahme in eigene Hände. Das aber ist alles auch schon wieder viele Jahre her.
Heimkehr aus dem Süden
Neun Beschäftigte arbeiten heute bei der Quarzsand Nudersdorf GmbH, davon sechs in der Produktion, und im Grunde sei dort jeder für jede Aufgabe einsetzbar - wenngleich der Baggerfahrer natürlich am liebsten Bagger fahre, wie Witter einräumt. Dass nun der Generationswechsel gelingt, ist für den 65-Jährigen die Krönung seiner beruflichen Anstrengungen: Sohn Marko (45), der zuletzt in Baden-Württemberg als IT-Experte bei einem Medizintechnik-Unternehmen tätig war, nahm das Rückkehrangebot des Vaters an; der jüngere Sohn Thomas, gelernter Tischler, arbeitet weiter als Produktionsleiter.
Trockner verschlingt Energie
Die Herausforderungen, vor denen die Quarzsand Nudersdorf GmbH steht und die nun die neue Generation meistern muss, hängen direkt mit dem Klimawandel zusammen: Über kurz oder lang müssen die Anlagen auf erneuerbare Energien umgestellt werden, so Marko Witter. 4,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr verschlingt allein der gasbetriebene Trockner. Das bastelt man nicht mal eben so um, das geht nur gemeinsam mit den Herstellern. Zudem, so Jürgen Witter, stehe man in Kontakt mit Tesvolt, dem Wittenberger Produzenten von Energie-Speicheranlagen.
Der Senior will sich, wie er betont, aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, den Söhnen freilich mit Rat zur Seite stehen, wenn sie ihn rufen. Nur dann. An vorderster Front bei der Quarzsand Nudersdorf GmbH wird die Öffentlichkeit Jürgen Witter, der bis 2020 Präsident des Wittenberger Industrieclubs war, voraussichtlich erst in drei Jahren wiedersehen: 2024 wird das Unternehmen 100 Jahre. Dann, so der 65-Jährige, der auch der Firmenchronist ist, soll es wieder einen Tag der offenen Tür geben. Aber jetzt ist erstmal gut. Witter will ausspannen. Eine Woche. Vielleicht auch ein bisschen länger. Der Sand reicht übrigens noch 150 Jahre. (mz)
