1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Adventskalender Wittenberg Tür Nr. 4: Adventskalender Wittenberg Tür Nr. 4: Michael Rietz hat die Lizenz zum Einbrechen

Adventskalender Wittenberg Tür Nr. 4 Adventskalender Wittenberg Tür Nr. 4: Michael Rietz hat die Lizenz zum Einbrechen

Von irina steinmann 04.12.2014, 10:39
Michael Rietz zeigt die Instrumente. Bisher, sagt er, habe er noch jede Tür aufbekommen.
Michael Rietz zeigt die Instrumente. Bisher, sagt er, habe er noch jede Tür aufbekommen. achim kuhn Lizenz

wittenberg - „Alzheimer“, sagt Michael Rietz und grinst. Ein Witz. Rietz lebt von der Schusseligkeit anderer Leute. Schusseligkeit reicht ja völlig; rumms, ist die Wohnungstür zu. Auf kaum jemanden passt der Begriff Türöffner besser als auf Rietz, 53 Jahre, gelernter Schlosser, heute spezialisiert auf Sicherheitstechnik, ein Mann mit der Lizenz zum Einbrechen, ganz legal. „Bis jetzt ja“, sagt er trocken, fragt man ihn, ob er denn tatsächlich jedes Schloss... Das sei ja auch nicht die große Kunst, die bestehe vielmehr darin, dass man beim Öffnen fremder Türen möglichst keinen Schaden anrichtet. Aufbohren, das kann ja fast jeder. Das sei wie bei Ärzten, sagt er: Es gebe gute, und es gebe schlechte. Wollte man im Bild bleiben, müsste man sagen: Michael Rietz geht möglichst minimalinvasiv vor. Schmales Etui, darin ein paar „Drähte“, dazu Geschick und Erfahrung. Wie ein, pardon, guter Einbrecher eben.

Lehrling bei der PGH Stahl

Bald vier Jahrzehnte ist Michael Rietz jetzt im Geschäft, 1976 fing er als Lehrling bei der PGH Stahl an, lernte auch in der Abteilung Schlüsselnachfertigung. Andere Zeiten, andere Sitten: Fertige Profile gab es nicht, alles wurde per Hand gefeilt, und zu jedem Schlüssel waren auch Name und Anschrift des Nutzers hinterlegt, „konnte ja sein, dass die Stasi oder die Kriminalpolizei mal nachsehen wollte in der Wohnung“, berichtet Rietz mit der Neutralität eines Historikers, der über sehr ferne Zeiten referiert.

Jedes Jahr im Advent werden Türchen geöffnet. Dahinter verbergen sich Schokolade, Spielzeug aber auch Parfüms und andere Dinge, die die Zeit bis Heiligabend versüßen sollen. Die Mitteldeutsche Zeitung geht mit Ihnen, liebe Leser, auch wieder auf Entdeckungsreise von Tür zu Tür.

Dieses Jahr wollen wir ganz ungewöhnliche Türen öffnen und nicht nur das, was sich dahinter verbirgt, ins Licht der Öffentlichkeit rücken, sondern auch all diejenigen, die uns die Türen öffnen und Einblicke in ihre nicht ganz so alltägliche Welt gewähren. (sw)

Als er 1987, ein junger Mann in seinen Zwanzigern, ein eigenes Gewerbe beantragte, waren sie in der PGH und bei den Behörden nicht nur verblüfft, sondern auch ein bisschen erleichtert, dass da jetzt einer war, der diesen leidigen Schlüsselnotdienst übernahm, erinnert sich Rietz. Der lässt ihn bis heute nicht jede Nacht ruhig schlafen. Sechs Telefone habe er in seiner Wohnung, freilich ist er nicht alleine, acht Mitarbeiter beschäftigt sein Unternehmen in der Lutherstraße heute, es waren sogar mal mehr. Da waren ja die fetten Jahre gleich nach der Wende, als alle Welt nach Briefkästen, Sicherheitsketten etc. etc. verlangte - „und kein Baumarkt weit und breit“. Heute, sagt Michael Rietz, lebe er von seinem guten Ruf als Fachmann. Fürs Öffnen (von den vielen schwarzen Schafen der Türöffnerbranche wollen wir jetzt ausnahmsweise mal gar nicht reden) - und fürs Schließen.

Tatsächlich gewinnt man den Eindruck, das sichere Verschließen von Türen, Toren und Tresoren jeder Art könnte Rietz sogar noch wichtiger sein als das Öffnen. „Man muss den Einbrecher beschäftigen“, lautet so ein Satz, der dem Absatz jeweils moderner Sicherheitstechnik Tür und Tor öffnet. Zu den Kunden des Wittenbergers zählen die Hersteller von Windkraftanlagen, die auch seewasserfeste Schlösser verlangen, der Wind soll künftig schließlich vor allem auf dem Meer gefangen werden. Und bis hinunter nach Leipzig betreut er die Anlagen der Bahn, und das sind nun nicht nur Trafohäuschen.

Wie Michael Rietz einen Türenhersteller düpierte, weil ein Auftraggeber ihn als legalen Einbrecher mit einem entsprechenden Test beauftragt hatte, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Erfolgreicher Türentest

Wohl stundenlang könnte der Sicherheitsspezialist allein darüber referieren und über die Kehrseite, das ganz legale Knacken von Schlössern, sowieso. Wie er Türenhersteller düpierte, weil ein Auftraggeber ihn als legalen Einbrecher mit einem entsprechenden Test beauftragt hatte („alle sechs Türen waren in wenigen Minuten zerlegt“). „Ich könnte ein Buch über meine Arbeit schreiben“, sagt er und weil ihm dafür vorläufig aber die Zeit fehlt, sprudeln die Anekdötchen nur so aus ihm heraus. Regelmäßig begleitet Rietz die Feuerwehr, die Polizei, auch den Gerichtsvollzieher. Da gibt es die traurigen Geschichten von einsamen Leuten, die niemand vermisst, bis irgendwann einem Nachbarn dann doch etwas komisch vorkommt... Da ist die Frau, die wegen ihres Ex-Freundes das Schloss ausgewechselt haben will, „und als ich da hinkomme, steht so ein tätowierter Schrank in der Tür...“ Ein Mitarbeiter von ihm hat sogar mal in eine Kanone geschaut. Der fiel dann eine Zeit lang aus.

Notöffnungen seien seltener geworden, seit es für alte Leute die Pieper gibt, andererseits dürfe er auf, er sagt tatsächlich: „Stammkunden“ zählen - die Schusseligen lernen offenbar nicht dazu, gut für Rietz. Kürzlich aber hat ihm sein Körper zu verstehen gegeben, dass er so wie bisher nicht mehr mitspielen möchte. Kürzer treten also, sagt Michael Rietz. Noch ist es freilich zu früh für die Schublade mit all den Ideen fürs perfekte Schloss. Nicht zu früh ist es, vielleicht, für den Nachbau eines dicken Schlosses, das noch in der Stadtkirche fehlt. Da würde er gerne seine „Visitenkarte abgeben“, für die Nachwelt. Dass er heute da ist, wo er ist, habe er auch jemandem zu verdanken, der selbst bereits in die Geschichte eingegangen ist. Mit dem Schmied Stefan Nau öffnete er einst eine historische Truhe, die heute im Lutherhaus steht. Ja, genau der Nau, der 1983 das Schwert zur Pflugschar umschmiedete. Am Ende war’s ganz einfach, sagt Rietz, man musste nur eine eiserne Rose zur Seite drehen, auf sprang der Kasten. Der Inhalt? Weniger wichtig als die Tüftelei davor. (mz)