Adventskalender der Lokalredaktion Wittenberg Adventskalender der Lokalredaktion Wittenberg: Schöne Stille im Roten Wallwachhaus

Wörlitz - Hereinspaziert! Tanja Bölke öffnet die hölzerne Eingangstür des Roten Wallwachhauses. Es ist ein eher ungemütlicher Dezembertag, kurz vor dem Weihnachtsfest - kein Schnee, Windböen lassen die Baumwipfel tanzen, zwei Kormorane blicken vom Großen Wallloch neugierig herüber. „Ich finde es schön hier. Diese Stille“, sagt die 42-Jährige mit einem Lächeln. Weit und breit keine Menschenseele, es ist Ruhe eingekehrt rund um den im Mai 1772 errichteten, verputzten klassizistischen Backsteinbau, der heute Touristen das ganze Jahr über als Feriendomizil dient und vom Ringhotel „Zum Stein“ betrieben wird.
Das nach Entwürfen des Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff gebaute Haus schmiegt sich nahezu zärtlich an den Wall, der Wörlitz und seine Parkanlagen vor der Elbe schützt, wenn ihr Wasser wieder einmal von den Auen Besitz ergreift und sich nahezu unwiderstehlich übers Land arbeitet. Das Rote und noch weitere Wallwachhäuser hat Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau nach dem großen Hochwasser der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1771 errichten lassen. Auch die Deiche wurden verbessert. Eine weitsichtige und kluge Entscheidung, wie sich in den folgenden Jahrhunderten noch zeigen sollte. So diente auch das Rote Wallwachhaus, das anfänglich Wassermühlenwachhaus genannt wurde, lange den Deichwächtern als Lager für ihre Arbeitsgeräte und als Aufenthaltsort.
Familie Pirl übernimmt
Diese Funktion hat es längst nicht mehr, wenngleich Ambiente, Lage und der Blick hinaus in den Englischen Landschaftspark und die Elbaue durchaus noch etwas spüren lassen von einer Zeit in der sich die Region nicht nur im Deichbau zu den fortschrittlichen in deutschen Landen zählen durfte.
Jedes Jahr im Advent werden Türchen geöffnet. Dahinter verbergen sich Schokolade, Spielzeug aber auch Parfüms und andere Dinge, die die Zeit bis Heiligabend versüßen sollen.
Die Mitteldeutsche Zeitung geht mit Ihnen, liebe Leser, auch wieder auf Entdeckungsreise von Tür zu Tür. Waren Sie es selbst, die uns im vergangenen Dezember die Türen zu Ihren Küchen öffneten und uns so manch „geheimes“ Familienrezept und dessen Geschichte offenbarten, wollen wir in diesem Jahr ganz ungewöhnliche Türen öffnen und nicht nur das, was sich dahinter verbirgt, ins Licht der Öffentlichkeit rücken, sondern auch all diejenigen, die uns die Türen öffnen und Einblicke in ihre nicht ganz so alltägliche Welt gewähren. (sw)
Im April 2006, nach umfangreicher Sanierung, hat die Familie Pirl das Rote Wallwachhaus von der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz gepachtet. Seitdem kommen - egal zu welcher Jahreszeit - Menschen, die das Besondere lieben, um hier ein paar Tage gediegen, aber ohne Telefon, Radio und Fernseher zu verbringen. Zumindest gehören diese technischen Errungenschaften nicht zur Ausstattung. „Viele der Gäste sind Gartenliebhaber und Künstler“, sagt Hotelier Michael Pirl. „Sie kommen für drei bis vier Übernachtungen aus ganz Deutschland, seltener aus dem Ausland. Was sie verbindet, ist ihre Aufgeschlossenheit, Neugier und die Suche nach dem Außergewöhnlichen“, fügt er hinzu.
Historisch und modern
Tanja Bölke geht indes voraus ins Innere des Hauses, so wie es die Gohrauerin immer macht, wenn Gäste - zwei Personen finden Platz in der besonderen Unterkunft - anreisen. Ein historischer und zugleich moderner Holzbadezuber zieht den Blick auf sich und verspricht Entspannung. Stilvoll vereinen sich im Untergeschoss Bad und Küche. Eine Fußbodenheizung sorgt für Wärme und Gemütlichkeit. „Wer möchte, kann kochen. Wir liefern aber auch alles hierher“, erklärt die Rezeptionistin des ungefähr 800 Meter entfernt liegenden Hotels „Zum Stein“.
Zehn Stufen führen die hölzerne Treppe hinauf ins Obergeschoss mit seinen zwei kleinen Zimmern. Dort soll schon Fürst Franz hinausgeschaut haben in sein Gartenreich. Durchs Fenster im Schlafzimmer, wo ein Kanonenofen steht, schweift der Blick hin zu den Sieben Hügeln, einer historischen Hochwasserschutzanlage, mit dem Proteusstein. Sie bewahrt die Dämme vor der zerstörenden Kraft des Eises beim Winterhochwasser. Das ist indes in diesen Tagen nicht zu sehen. Deshalb falle es manchen Gästen schwer zu verstehen, wie sich solch eine große Fläche mit Wasser füllen kann, erzählt Pirl.
„Einigen muss ich auch die Funktion der Wallwachhäuser erklären“, fügt Tanja Bölke hinzu. Und wenn sie dann ins Wohnzimmer mit dem gemütlichen Sofa und den zum Lesen einladenden Sesseln geht, erzählt sie den Gästen vom Schloss, das aus dem dortigen Fenster zu sehen ist. „Sehr gern mache ich das“, sagt sie, denn „die Abwechslung, der Umgang mit so verschiedenen Menschen, das ist schön.“ 15 Jahre arbeitet sie schon im Ringhotel „Zum Stein“, ist an der Rezeption tätig, organisiert, verkauft, kümmert sich um Veranstaltungen und eben auch um die Gäste, die das Rote Wallwachhaus zu ihrem Urlaubsdomizil erkoren haben. „Immer etwas anderes, immer in Bewegung.“ Das mag Tanja Bölke. (mz)

