Adventskalender 2016 Adventskalender 2016: Türchen 12: Würfeltest vor Familienduell

Wittenberg - Raik Stepputtis geht am Heiligen Abend als Titelverteidiger ins Rennen. Der 51-Jährige nimmt die Sache ernst. „Ich habe mir in diesem Jahr schon 20 Würfel gekauft und alle ausprobiert“, sagt er und deutet mit einer blitzschnellen Bewegung aus dem Handgelenk an, mit welcher Strategie er die Luschen aus dem Verkehr gezogen hat. Wer keine Sechsen am Fließband produziert, verschwindet in der Schublade.
Das Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“ wird im Hause Stepputtis nicht als abendfüllendes Programm verstanden - Es ist eine Meisterschaft! „Wir spielen immer vier Runden“, sagt der 51-Jährige, der Geschäftsstellenleiter beim FC Grün-Weiß Piesteritz ist und 2015 zwei Runden gewonnen hat. Mit am Tisch sitzen seine Eltern und Zwillingsbruder René, der beim Kreissportbund arbeitet.
„Der Heilige Abend läuft bei uns nach festen Regeln ab. Pünktlich um 17.30 Uhr kommt das Essen auf den Tisch, 20 Minuten später ist Bescherung und 18 Uhr beginnt das große Spiel.“ Einen zweiten Platz kann der Fan von Schalke 04 und Dynamo Dresden nicht akzeptieren. „Dann bin ich bockig und gehe ins Bett.“
Auf den Tisch kommt am Heiligen Abend Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen. Wenn ich Zeit habe, schnippele ich mit. Dieses Essen ist an Silvester auch unser traditionelles Mittagbrot.
Weihnachten bedeutet für mich, in erster Linie feste Rituale. Am ersten Feiertag stehen Frühschoppen und gemeinsames Mittagessen auf dem Programm, am 26. Dezember fahren wir zur Schwester nach Berlin.
Nicht verzichten möchte ich auf die ganze Nascherei, speziell auf die leckeren Marzipankugeln. Da ich allein wohne, verzichte ich auf den Weihnachtsbaum.
Die größte Weihnachtskatastrophe wäre für mich ein verunglückter Weihnachtsbraten. Ich halte jedes Jahr Enten. Wenn das Essen am 25. Dezember auf dem Tisch steht, muss alles perfekt sein. Dann bin ich der glücklichste Apollensdorfer. (mz/tt)
Wenn Stepputtis vom Weihnachtsfest spricht, schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Einerseits liebt er die Traditionen plus den geregelten Ablauf, andererseits ist er froh, wenn der Alltag wieder einzieht. Zusammen mit seiner damaligen Freundin Elke ist er am Heiligen Abend bis 1989 in die Kirche gegangen, nach der Trennung ist dieses Bedürfnis eingeschlafen.
Prinzipiell kennt er die Weihnachtsgeschichte rund um die Geburt des Heilands, vertiefen will der Apollensdorfer das Gespräch in diese Richtung nicht. Als Single hat er auch keinen Weihnachtsbaum in der Wohnung, wenn er im Schein der Kerzen sitzen will, geht er zu seinen Eltern, die im selben Haus wohnen. Raik und sein Bruder René sind in Wittenberg bekannt wie zwei „bunte Hunde“.
Es gibt kaum eine Veranstaltung in der Lutherstadt, wo sie nicht im Doppelpack auftauchen. „Am Heiligen Abend ruht die Freundschaft während der vier Runden“, sagt der ältere Zwilling, der seit zehn Jahren auf dem Weihnachtsmarkt ein feste Größe ist. Mindestens dreimal in der Woche schenkt er am Stand seines Heimatvereins heiße Getränke aus. „Unser roter Glühwein aus dem Erzgebirge und Kinderpunsch laufen richtig super“, sagt er und tippt dabei auf die Preisliste, die im Inneren des FC-Stands angebracht ist.
Nur auf dem Markt stehen und mit den Leuten reden ist nicht sein Ding. Der Stand muss schick sein. „Seinen“ Verein ordentlich präsentieren, lautet der Anspruch des Geschäftsstellenleiters, der sich nicht zu fein ist, selber den Besen zu schwingen. Um 8 Uhr sorgt er für ein sauberes Umfeld. „Unsere Stammgäste sollen sich wohlfühlen“, sagt der Apollensdorfer. In der Woche begrüßt er täglich etwa 300 Besucher, an den Wochenenden ist es ganz locker das Doppelte.
So richtig schlaflose Nächte bereite ihm der FC nicht mehr, sagt er. Finanziell gehe es nach einer langen Talfahrt wieder bergauf. Im Vorstand ziehen alle an einem Strang, um den in Schieflage geratenen Leuchtturm wieder aufzurichten. „Ich denke, wir haben das Schlimmste überstanden.“ Weihnachtsmarkt heißt für den 51-Jährigen auch Leidenszeit. „Wenn ich arbeite, gibt es keinen Alkohol.“ Auf Trab hält sich Stepputtis mit Tee oder Kaffee sowie mit Runden durch die Innenstadt. Nach ein paar Stunden Verkauf melden sich die kalten Füße.
Wenn der Geschäftsstellenleiter mal keinen Dienst hat, schaut er am Abend immer nach dem Rechten. Ein vermüllter Stand - das geht gar nicht! Stepputtis erzählt von seinen Erlebnissen auf dem Markt. „Nach ein paar Tagen kann ich alle Lieder mitsingen“, betont er und erzählt vom „Rausschmeißer am Abend“.
„Wie heißt das Lied?“, ruft er in die Runde und bekommt sofort eine Antwort. „Das ist die Melodie aus einem bekannten Märchenfilm“, schallt es ihm entgegen. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, ruft eine junge Frau und hat damit das Rätsel endgültig gelöst.
Im Januar will der 51-Jährige in die Sonne fliegen. Ohne Bruder, ohne Würfel, ohne Spieler des FC. Nach zwei Jahren ohne Urlaub wird es Zeit, die Koffer zu packen. „Dann geht es 14 Tage nach Sri Lanka.“ Stepputtis freut sich auf den Asientrip. Thailand hat er „in der Gegend“ auch schon besucht. Das Gedränge am Stand nimmt zu, der Zwilling die Bestellungen entgegen. Hin und wieder reibt er Daumen und Zeigefinger aneinander. Würfeltest geht auch imaginär. (mz)
