50 Jahre lang in der selben Werkstatt
Wittenberg/MZ. - Es ist eine Zäsur, nicht allein für Familie Otocki. Das Haus nämlich hat Anfang des 20. Jahrhunderts Johannes Schmidt bauen lassen, Schmidt ist laut Otocki Gründer der Uhrmacherinnung in Wittenberg. Er kann also sagen: "53 Jahre inclusive Lehrzeit habe ich im ältesten Uhrmachergeschäft der Stadt für meine Kunden gearbeitet."
53 Jahre lang war der gebürtige Wittenberger in einem Geschäft tätig, in einer Werkstatt. Solche Beständigkeit dürfte heute Seltenheitswert besitzen. 1955 ging Harald Otocki bei Gerhard Teiche in die Lehre, jener hatte das Geschäft von Innungsgründer Schmidt übernommen. "Ein Lehrling", erinnert sich der Pensionär, "musste damals sein Werkzeug noch selber anfertigen." Das Uhrmacherhandwerk liegt ihm und etwas anderes zu tun, ist ihm nie in den Sinn gekommen: "Fingerspitzengefühl braucht man und Ruhe. Trainieren lässt sich so etwas schwer, man muss beides haben, samt einer Neigung zu den kleinen Dingen."
Nach der Lehre wurde der junge Mann Gehilfe, in den 60er Jahren absolvierte er seine Meisterausbildung und übernahm nun seinerseits das traditionsreiche Uhrmachergeschäft in der Juristenstraße: 1970 war das. Er wehrt erfolgreich Bemühungen der Verstaatlichung ab und bleibt privat. Mitte der 70er Jahre steigt seine Frau ein, beide "schmeißen" nun den Laden, was nicht zuletzt einen erheblichen Zeitaufwand bedeutet: "Einen Acht-Stunden-Tag kenne ich nicht. Knifflige Reparaturen während der Geschäftszeit, das geht nicht, man muss entspannt sein dafür. Die habe ich danach gemacht, manchmal bis Mitternacht."
Im Vordergrund stehen jahrzehntelang Reparaturen, nicht zuletzt von so genannten Großuhren, Tisch- und Wanduhren also: "Das war eine Auflage vom Rat des Kreises damals." Zudem wird Schmuck verkauft, streng reglementiert ist freilich, was gehandelt werden darf. Mit der Wende hat sich die Welt verändert - nicht zuletzt für Uhrmacher. Nicht mehr Reparatur ist gefragt, sondern Service und Verkauf. Billige Uhren werden, wenn sie kaputt sind, in den Müll geschmissen. Die Qualität, weiß der Fachmann, ist entsprechend. Dass sich aber auch die Wegwerfmentalität wieder ändern und der Trend zu höherwertigen Uhren gehen kann, will Harald Otocki nicht ausschließen: "Irgendwann werden Uhrmacher mal fehlen", prophezeit er, der für alte Zeitmesser mit Gewichtsaufzug schwärmt: "Die sind fast so genau wie Quarzuhren, genauer jedenfalls als Uhren mit Federzug, weil eine konstante Kraft dahinter steckt."
Dass sich der frisch gebackene Pensionär zu Hause irgendwann mal wieder eine Uhr von innen ansehen wird, könne schon passieren, lächelt Harald Otocki. Das Werkzeug jedenfalls hat er wohlweislich nicht verkauft. Und neugierig, was sich in der Welt der Uhren so tut, ist er sowieso. Zunächst aber freut er sich über die Zeit, die ein Uhrmachermeister im Dienst nie hat. Die will er nutzen, sich um Garten und Grundstück kümmern, um Hund und Enkeltochter Leonie, um die Wittenberger Kulturlandschaft. Denn seine Heimatstadt, auf die lässt er nichts kommen. "Freiwillig würde ich nie von hier weggehen. Hier bin ich zu Hause, hier grüßt man mich."