150 Jahre Gewerbeverein 150 Jahre Gewerbeverein: Franz Neise und Dieter Pioch suchen Geschichte

Wittenberg - Es gibt Episoden in der Geschichte des Wittenberger Gewerbevereins, die haben es Dieter Pioch richtig angetan. Zum Beispiel das Schreiben, das der Vorstand 1886 mit herzlichen Glückwünschen an Werner Siemens zu dessen 70. Geburtstag sandte. Erhalten ist das Schreiben leider nicht, aber es ist bekannt, dass Siemens seinerzeit sehr nett geantwortet hat, dass er sich gern an seine Wittenberger Zeit erinnere.
Da hat die Zeit offenbar seine Erinnerung verklärt. Als junger Artillerie-Leutnant, der 1840 bis 1841 in der Wittenberger Garnison Dienst tat, konnte er in der Schlossstraße bei einem Goldschmied erste Versuche in der neuen Technik des Galvanisierens machen.
Dann wurde er wegen seiner Anwesenheit bei einem Duell zu Festungshaft verurteilt. Nach der Haft in Magdeburg kam er nach Berlin und äußerte damals, er sei froh, nicht wieder zurück zu müssen.
Im Jahr 1991, diesmal Mitte November, waren es drei Männer, die die Wiedergründung des Gewerbevereins betrieben: Manfred Schildhauer (der Vorsitzender wurde), Heinz Trübe und Wolfgang Schildhauer. So manche Veranstaltung ist unter dem Banner der Wittenberger Gewerbetreibenden entstanden. Am längsten existiert nun schon das Wittenberger Weinfest. Doch auch an die Gewerbeschau „Wittenberger Land“, die Osterfeste auf der Kuhlache wird sich mancher erinnern. Und nicht zuletzt den Weihnachtsmarkt organisiert der Verein, der derzeit 124 Mitglieder zählt.
„150 Jahre jung“ wird der Wittenberger Gewerbeverein in wenigen Tagen. Und der Vorsitzende Franz Neise ist froh, mit Dieter Pioch jemanden gefunden zu haben, der im Vorfeld des Jubiläums die Historie erforscht. Seit Juli vorigen Jahres sei er mit dem Zusammentragen der Vereinsgeschichte beschäftigt, erzählt Pioch, Ruheständler und Fördermitglied.
Wobei beide, er und Franz Neise, betonen, dass es keine Chronik werden sollte. Dafür sei ein halbes Jahr Vorlauf einfach nicht genug Zeit. „Zielsetzung war es, eine Ausstellung vorzubereiten“, sagt Dieter Pioch.
Von den fünf Roll-Ups, also bedruckbaren Werbebannern, waren die ersten beiden bereits beim Neujahrsempfang des Landkreises zu sehen. Komplett werden sie erstmals bei der Festveranstaltung zum Jubiläum am 14. März gezeigt.
Ausfindig gemacht hat Dieter Pioch die Gründungsstatuten des Vereins. 18 Paragrafen listet das achtseitige Dokument auf, in dem es heißt: „Jedermann von unbescholtenem Rufe kann in den Verein aufgenommen werden.“ Und unbescholtene Wittenberger, die das Gewerbe in der Stadt fördern wollten, gab es offenbar reichlich. 1906 zählte der Verein 180 Mitglieder, zwei Jahre später waren es bereits 247 und im Jahr 1912 beachtliche 382 Mitglieder.
Eine wichtige Grundlage der Recherche ist die Festschrift anlässlich des 50-jährigen Vereinsbestehens. Das 40 Seiten starke Büchlein, erschienen 1917, ist eine Fundgrube. Sechs Herren (Vereine waren damals reine Männersache) hatten sich am 14. März 1867 im damaligen Hohlschen Gasthof (jetzt „Goldener Adler“) zur Gründung zusammengefunden.
Nach Bestätigung der Statuten wurde Bauinspektor Deutschmann erster Vorsitzender. „Frisch und fröhlich stürzte sich der Verein sogleich in die Arbeit“, heißt es in der frühen Chronik. Und mit einer „Allgemeinen Deutschen Gewerbe- und Industrieausstellung in Wittenberg“ hatten sich die Mitglieder bereits 1869 ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Geld wurde eingeworben, allein das eigens dafür gebaute Ausstellungsgebäude entsprach einem Wert von 90.000 Mark.
Die Chronik von 1917 berichtet, dass 939 Aussteller ihre Erzeugnisse zeigten und etwa 90 000 Besucher in drei Monaten anreisten. Schirmherr war Kronprinz Friedrich, der selbst an einem Tag anwesend war und zu dessen Ehren ein Erinnerungstaler geprägt wurde. Ein Exemplar hat Franz Neise vor kurzem ersteigert, es soll in der Ausstellung gezeigt werden.
Allerdings endete die Ausstellung für den Verein finanziell im Desaster, die Mitgliederzahl schmolz arg zusammen. Erst 1874 kam das Vereinsleben wieder richtig in Schwung, es gab monatliche Versammlungen und viele Pläne, etwa den Bau eines eigenen Vereinshauses und die Errichtung einer öffentlichen Lesehalle.
„Nach 1871 hat den Verein vor allem sein Engagement für die Bildung ausgezeichnet“, sagt Pioch und nennt als Beispiel die seit 1873 bestehende gewerbliche Fortbildungsschule, die 1900 der Stadt übergeben wurde. Auch Gewerbeausstellungen wurden wieder organisiert und durchgeführt.
Zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hat Dieter Pioch aus Zeitgründen noch nicht näher forschen können. Einzig eine Versammlung 1927 ist belegt. „Danach kommt: Nichts. Bis 1991“, bedauert Franz Neise. Die Zeit des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg, die DDR-Zeit - da klafft bis heute eine große Lücke, was Dokumente aus diesen Jahrzehnten betrifft.
Am 14. März 1947 habe es, so Pioch, ein Treffen von Gewerbetreibenden im „Goldenen Adler“ gegeben, ein gemütliches Beisammensein, aber keine Wiedergründung. Und ein Schreiben der SED-Kreisleitung aus den 70er Jahren erwähnt, dass in Wittenberg die Verstaatlichung vieler Privatunternehmen offenbar gescheitert sei.
„Dadurch hat Wittenberg eine feine Händlerstruktur behalten“, sind Pioch und Neise gleichermaßen froh, noch etliche traditionsreiche Geschäfte in der Innenstadt zu haben. (mz)
