Jubiläum 100 Jahre Betriebsamkeit bei Carl Traub in Wittenberg
Im Sommer 1921 gründete der Zuwanderer Carl Traub ein Geschäft für Samen und Seilerwaren. Seine Enkelin führt es.

Wittenberg - Selten ist so ein Zippo-Geschäft, selten und lukrativ. Ein Zippo ist schließlich der „Mercedes“ unter den Feuerzeugen, weiß Gerd Hoffmann. Aber das Geschäft kommt nicht zu Stande, nicht jetzt jedenfalls, vielleicht später. Und das hat mit der Tradition zu tun: Bei Samen und Seilerwaren Traub nimmt man bis heute nur Cash.
Denn wie sollte das auch aussehen, so ein Lesegerät, eine ganze moderne Kasse gar anstelle der alten historischen? Es wäre ein „Stilbruch“, sagt Christine Hoffmann. Dass Gebühren auch eine gewisse Rolle spielen könnten, verneint ihr Mann nicht.
Aber darum geht es hier nicht. Samen und Seilerwaren Traub, das ist in Wittenberg eine Institution. Und Carl Traub, der Gründer, das war eben der Großvater von Christine, geborene Böhme, heute: Hoffmann. Am 21. Juni 1921, der zweite Sommer der Goldenen Zwanziger war ganz jung, eröffnet der Entrepreneur aus dem Süddeutschen seine Samenhandlung in der Coswiger Straße, die Seilerwaren kamen hinzu. Und der Tabak auch - die Bedienung des Lasters war also von Anfang an dabei. 1922 kam Christine Hoffmanns Mutter zur Welt, Melitta.
Das Wende-Jahr 1992
Die Erbfolge im Laden, sie ist seither ganz klar eine weibliche: Die Männer wurden angeheiratet und machten ordentlich mit. Nicht immer freiwillig, das muss man vorausschicken, und genau genommen war das auch bei Christine Hoffmann so: Ein böser Schicksalsschlag, der frühe Tod ihres Vaters Klaus Böhme, führte dazu, dass das Ehepaar Hoffmann 1992 überhaupt einstieg in das Geschäft mit den Samen, den Seilen und all dem, was die Pflanze schützt oder dem Menschen eine liebe Sucht ist.
Denn als Filialleiterin der Sparkasse draußen beim Stickstoff in Piesteritz - Tausende Beschäftigte dort - war Christine Hoffmann eigentlich sehr zufrieden mit ihrem Berufsleben. Dito ihr Mann, der Fleischermeister Gerd Hoffmann, er stand gerade vor der Übernahme eines solchen Fachgeschäfts. Aber da war eben die Tradition. Da war dieser Laden.
Eigentlich ging es also gar nicht anders. Christine Hoffmann kehrte zurück hinter die Ladentheke. Ja, das war eine Rückkehr, wenn auch nach sehr langer Zeit: Als Kind, vielleicht drei, vier, fünf Jahre alt, durfte sie dort Vogelfutter verkaufen. Und sie hat sich nicht blamiert, als ein Kunde - in Absprache mit ihrem Vater, versteht sich - sie beim Zahlen auf die Probe stellte: Ein Eine-Mark-Stück ist eben kein Zwei-Mark-Stück, das weiß doch jedes Kind, nicht wahr? Wegen der Riffelung am Rand der Münze.
Damit ist diese letzte Geschäftsübernahme aus nunmehr 100 Jahren Betriebsamkeit nun selbst auch schon wieder bald drei Jahrzehnte her: Nächstes Jahr schon heißt Samen und Seilerwaren Traub dann 30 Jahre Hoffmann. Viel hat sich geändert allein in diesem vergleichsweise überschaubaren Zeitraum. Zigarren und „Stumpen“, Zigarillos, gehen kaum mehr, sagt Gerd Hoffmann und deutet auf die Holzkästchen mit exotischen Namen, „Vasco da Gama“ zum Beispiel, die Kunden hierfür seien so gut wie ausgestorben.
Auch bei den Pflanzenschutzmitteln deuten sich Umwälzungen an oder haben bereits stattgefunden. Das alte böse Zeug ist weg, auch wenn sich so mancher damit offenbar nicht abfinden möchte und es stattdessen in Polen versucht. Allen anderen aber versuchen Christine und Gerd Hoffmann gute Berater zu sein bei den einschlägigen Mitteln, die heute fast ausschließlich unter dem Label der Pflanzen„stärkung“ liefen. Egal, wie man sie nennt: Diese Mittel und die Sämereien sind das, was am häufigsten über die Ladentheke geht in der Coswiger Straße.

Und natürlich die Seile. Die gibt es hier in den verschiedenen Stärken. Aber Vorsicht! Dieses dicke Teil da hinten ist kein Schiffstau, „schreiben Sie bloß nicht Schiffstau“, sagen die Hoffmanns, denn die bräuchten extra einen Tüv. Also „Hangeltau“, Hangeltau für Kinder, das ist die dickste Qualität, die das Wittenberger Unternehmen in dritter Generation von einem Bad Schmiedeberger Unternehmen in fünfter Generation bezieht, von „Seilerwaren Prutz“. Dass auch die gute alte Wäscheleine Hoffmanns Angaben zufolge weiterhin recht gut verkauft wird, mag erstaunen im Zeitalter des Wäschetrockners, es sei aber so.
Pünktlich zum Abendessen
„Carl Traub“ in der Coswiger Straße gehört zu den wenigen Geschäften, die ganz gut durchgekommen sind in der Corona-Pandemie. Schließen mussten sie keinen einzigen Tag, da hier ja Waren des täglichen Bedarfs verkauft werden. Freilich ist die Kundschaft nun schon im zweiten Jahr auf die Stammkundschaft zusammengeschmolzen, „es fehlen die Touris“, sagt Gerd Hoffmann. Die Touristen, die früher immer mal dafür sorgten, dass er zu spät zum Abendessen kam. Jetzt sei er fast immer pünktlich, berichtet seine Frau. Sie wohnen beide hoch oben im Haus über dem Laden, der eigentlich ein kleines Museum mit laufendem Geschäftsbetrieb ist.
Wohl x-mal schon hätten sie das Interieur verkaufen können, die Kasse, die Regale, vielleicht auch den alten Panzerschrank aus der Gründungszeit und das Bild vom Sämann, das ebenfalls von Anfang an dabei ist und das nicht Carl Traub darstellt. Aber die Nachfolgefrage, sie stellt sich gar nicht. Christine und Gerd Hoffmann, inzwischen 62 und 68 Jahre alt, wollen ja weitermachen, solange „wir Lust dazu haben“. Das gerade erneuerte Ladenschild mit der stolzen „100“ über den Schaufenstern, es dürfte allerdings dann wohl doch das letzte sein.
Ab Anfang Juni, im Jubiläumsmonat, werden die Seile und Samen im Fenster übrigens Gesellschaft bekommen, gezeigt werden dort dann unter anderem historische Fotografien aus der Familiengeschichte. Tradition verpflichtet. (mz)