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Zeitreise auf Schienen Zeitreise auf Schienen: Geschichte der ehemaligen Intex-Mitarbeiter im Theaterzug

Von Meike Ruppe-Schmidt 09.04.2019, 13:00
Regisseur Jens-Erwin Siemssen (l.) sprach im Theaterzug am Bahnhof mit den ehemaligen Intex-Mitarbeitern Ilse Wolf und Ralf Beckmann (r.)
Regisseur Jens-Erwin Siemssen (l.) sprach im Theaterzug am Bahnhof mit den ehemaligen Intex-Mitarbeitern Ilse Wolf und Ralf Beckmann (r.) Peter Lisker

Weißenfels - Nur noch wenige Tage dauert es. Dann hebt sich im alten Intex-Gebäude am Weißenfelser Bahnhof der imaginäre Vorhang. Schon jetzt erstrahlen die Fenster des Textilkontors nachts in bunten Farben. Und für viele Menschen steigt die Spannung auf die Premiere des Stücks „Intex“ am 24. April.

Auch Renate Beer fiebert dem Termin entgegen. Sie ist eine von zwölf Zeitzeugen, auf denen die Inszenierung des Stücks beruht. Jetzt traf sie einige ihrer ehemaligen Kollegen im Theaterzug vom Projekt „Das letzte Kleinod“ wieder - und tauchte mit ihnen ein in fast vergessene Zeiten.

Theaterzug in Weißenfels: Chorklänge am Morgen

„Ich habe 1953 als Lehrling angefangen, bei Intex zu arbeiten“, erinnert sich Beer, die unter anderem in der Schuhstoffproduktion tätig war. Was heute kaum vorstellbar ist: „Jeder Arbeitstag begann mit einem Auftritt unseres Betriebs-Chors. Ich war Mitglied und das erste, was wir morgens taten, war eine halbe Stunde lang für die Belegschaft zu singen.“ Ein Motivationskick für den Arbeitstag in dem rund 3000-Quadratmeter großen Textillager. Hier wurden vorwiegend Filze für die Schuhproduktion, unter anderem für die Marke Salamander, angefertigt.

Zu den Vorgesetzten zählte Isolde Lamprecht, die ehemalige Abteilungsleiterin des Filzlagers. „Wir haben auch die großen Schiffswerften an der Ostsee mit speziellen Filztafeln beliefert“, erklärt sie. „Diese dienten zum Abdichten der Schiffe. Außerdem kam unser Intex-Filz beim Bau von Eisenbahnwaggons und sogar im Autobahnbau zum Einsatz.“ Die Räumlichkeiten in dem heute verfallenen Gebäude seien damals übrigens sehr gepflegt gewesen.

„Die Putzfrauen haben die Fußböden gebohnert und im Winter die Räume vorgeheizt“

„Die Putzfrauen haben die Fußböden gebohnert und im Winter die Räume vorgeheizt“, erinnert sich Beer. „Dafür mussten sie die Kohleeimer quer über den Hof bis in die oberste Etage tragen. Außerdem haben sie regelmäßig die großen Sprossenfenster geputzt.“ Ilse Wolf, ehemalige Disponentin für den Bereich Hausschuhstoffe, schwärmt: „Im Kulturraum feierten wir zünftige Feste, zum Beispiel am 1. Mai und am Frauentag. Auch unser Mittagessen, das uns die Reichsbahn lieferte, nahmen wir darin ein. Wir waren einfach wie eine große Familie.“

Entsprechend groß war der Schock unter der Belegschaft, als eine Silvesterrakete 1981 einen Teil des Textillagers in Brand setzte. „Ich erinnere mich daran, als ob es gestern wäre“, sagt Renate Beer. „Über weite Teile der Stadt hin waren die Flammen und die verbrannten Stofffetzen in der Luft zu sehen.“ Ein Teil des Lagers war danach unbenutzbar.

Und wenige Jahre später stand die Zukunft der gesamten Firma in den Sternen. „Nach der Wende gingen die großen Werften pleite“, erklärt Isolde Lamprecht. „Niemand kaufte mehr unseren Filz. Und spätestens, als ich die modernen Fabriken im Westen besichtigt hatte, wusste ich: Da können wir nicht mithalten.“ Also stieg man zunächst auf den Verkauf von Gardinen um. „Das hat eine ganze Weile funktioniert. Die Leute deckten sich damit ein - aber nach einer Weile flaute auch hier die Nachfrage ab.“ Mitte der 90er schloss das Intex-Kontor für immer seine Tore.

Theaterstück auf Schienen: Gemeinsame Hoffnung

Dass aus ihren Erinnerungen an die ehemaligen Firma nun ein Theaterstück wird, konnten sich die Kollegen zunächst nur schwer vorstellen. „Ich war anfangs skeptisch“, gesteht Beer. „Aber nun finde ich die Idee gut.“ Noch immer hängt ihr Herz an jenem Ort, an dem sie fast die Hälfte ihres Lebens verbracht hat. „Wenn die Leute sagen, das Intex sei heute ein Schandfleck, dann werde ich immer wehmütig“, gesteht Beer. Zur Premiere will sie mit ihren ehemaligen Kollegen deshalb noch einmal zurückreisen in die glanzvollen Zeiten des alten Industriegebäudes. Sie alle eint eine große Hoffnung: „Dass sich durch das Theaterstück etwas bewegt und dass das schöne Bauwerk vielleicht doch einmal wieder in Stand gesetzt wird.“

››Für Interessenten und Schaulustige öffnet der Theaterzug am 12. April von 16 bis 19 Uhr zum „Open Train“ seine Türen. Wer Kleiderspenden aus den 20er bis 70er Jahren zur Kostümierung abgeben möchte, kann sich melden bei Ulrike Marski, Telefon 0170/9875903. (mz)

Zünftige Feste gehörten zum Arbeitsleben. Hier feierten die Mitarbeiter eine Faschingsfeier im Kulturraum.
Zünftige Feste gehörten zum Arbeitsleben. Hier feierten die Mitarbeiter eine Faschingsfeier im Kulturraum.
Repro/Meike Ruppe-Schmidt
Der Betriebs-Chor (hier bei einem Firmenfest) begrüßte die Belegschaft in den 50er Jahren jeden Morgen mit Gesang.
Der Betriebs-Chor (hier bei einem Firmenfest) begrüßte die Belegschaft in den 50er Jahren jeden Morgen mit Gesang.
Repro/Meike Ruppe-Schmidt