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Starke Frauen in Reichardtswerben Starke Frauen in Reichardtswerben: Vor und auf heißen Öfen

Von Holger Zimmer 12.05.2014, 18:00
Karola Hippe vor der Reichardtswerbener Bäckerei auf einer schellen Yamaha, mit der sie natürlich keine Brötchen ausfährt.
Karola Hippe vor der Reichardtswerbener Bäckerei auf einer schellen Yamaha, mit der sie natürlich keine Brötchen ausfährt. Peter Lisker Lizenz

Reichardtswerben/MZ - Karola Hippe ist Spezialistin für heiße Öfen. Denn die Reichardtswerbenerin ist Bäckermeisterin, werden Brote und Brötchen bei Temperaturen bis zu 250 Grad gebacken. Und außerdem fährt sie im übertragenen Sinne heiße Öfen: eine Yamaha und eine Supermoto-MZ.

Der Erwerb eines Führerscheins hat für sie auf dem Dorf irgendwie mit dazugehört. Als sie zum Ende der DDR-Zeit alt genug war, hat sie einen erworben und sich einen Simson-Roller gekauft, der ihr bald nicht mehr schnell genug war, und kurze Zeit später kam deshalb eine 150er MZ dazu. Ein fahrbarer Untersatz war ihr wichtig, um in die Berufsschule zu kommen und in die Großbäckerei am Stadtrand. „Da war ich schon sehr stolz drauf, endlich unabhängig zu sein.“

Schriftsetzerin habe sie mal werden wollen, weil der Onkel in einer Zeitungsdruckerei gearbeitet hat. Bäckerin stand da erst mal nicht zur Debatte, weil sie ja wusste, was dranhängt: Nach Mitternacht aufstehen und auch am Sonnabendnachmittag mit zufassen, wenn andere spazieren gegangen sind. Selbst sonntags galt es mitunter noch Mandeln zu schälen.

"Mich hat schon immer alles interessiert, was fährt"

Und mit geholfen hat sie schon beizeiten. Mit nicht immer ganz sauberen kleinen Händen hat sie Brötchen geformt, die die Eltern essen sollten. Doch als dann tatsächlich die Berufswahl anstand, gab es kein Zögern mehr. Schließlich galt es ja einen kurz nach 1900 entstandenen Traditionsbetrieb weiterzuführen, der möglicherweise sogar noch älter ist. Dass sie in dem auch arbeiten würde, stand für sie von Anfang an fest. „Denn eintönige Massenproduktion war nichts für mich.“ Da ging es in der heimischen Firma nach der Wende schon kreativer zu. Statt zwei Sorten Brötchen gibt es mittlerweile zehn und statt fünf verschiedenen Kuchen können inzwischen bis zu 30 hergestellt werden. Auch ein moderner Ofen steht in der Backstube und sie selbst arbeitet mit zwei Gesellen und zwei Verkäuferinnen, aber die Eltern helfen ebenfalls ab und an noch mit.

Die haben ihrer Tochter nicht reingeredet, als sie plötzlich mit einem Motorrad vor der Tür stand. Karola Hippe selbst sagt: „Mich hat schon immer alles interessiert, was fährt.“ Das hat bei Vaters Modelleisenbahn angefangen und ging dann bis zur Yamaha, mit der sie schon mal 200 Kilometer in der Stunde fahren kann.

"Das hat für uns etwas mit Lebensgefühl zu tun"

Allerdings ist das mit dem Fahren so eine Sache, komme sie eher sporadisch dazu, „weil man als Selbstständige ja nicht wirklich Feierabend hat“. So sei sie auch in diesem Jahr trotz des zeitigen Frühjahrs spät in die Motorrad-Saison eingestiegen, als es zunächst einmal nur bis nach Memleben ging.

Längere Strecken kamen für sie übrigens erst mit dem Kauf der Yamaha um die Jahrtausendwende in Frage, ging es auch zu einem internationalen Treffen von Gleichgesinnten nach Berlin. Inzwischen ist die 42-Jährige längst zu ähnlichen Zusammenkünften auch in Schweden, Großbritannien, Italien oder Frankreich gewesen. Karola Hippe kam mit dem deutschlandweit agierenden Verein „Women on Wheels“ in Kontakt. Dann hat sie selbst die Initiative ergriffen und einen Stammtisch für Thüringen ins Leben gerufen. Gut ein Dutzend Ausfahrten gibt es jährlich, ist man auf Saale-Holzland-Tour oder um Ilmenau, aber auch international ins polnische Zakopane unterwegs.

Längst haben die rund acht Motorrad fahrenden Frauen bei Schleiz 2007 auch schon selbst ein Deutschlandtreffen mit 400 Teilnehmerinnen organisiert. Da gab es Ausfahrten und gemütliches Beisammensein und viel organisatorische Arbeit für die kleine Gruppe. „Aber das hat für uns etwas mit Lebensgefühl zu tun“, werde auch mal eine Burg besichtigt oder eine Paddelboot-Tour unternommen. „Sind wir unterwegs, versuchen wir natürlich, die Straßenverkehrsordnung einzuhalten und treffen wir auf Motorrad fahrende Männer, ist das Hallo groß und die Resonanz positiv.“ Für Karola Hippe ist das Fahren auf den „heißen Öfen“ ein Ausgleich zum Beruf, bei dem man etwas sieht und ein Gefühl von Freiheit ausleben kann.