Schuhmetro Weißenfels Schuhmetro Weißenfels: Der Handballmeister von 1948

Weißenfels - Das war seine Welt. Der nur gut 1,70 Meter große Rechtsaußen mit dem starken linken Arm lief auf der rechten Außenbahn ins gegnerische Torraumdrittel hinein, schwenkte nach innen und zog mit Links über den Kopf hinweg den Ball in die untere linke Torwartecke. „Mein Wurf war gefürchtet bei den Gegnern“, sagt er. Und zu Recht, denn mit einem dieser Würfe schaffte er die Vorentscheidung im Endspiel der Meisterschaft.
Erich Marhold, heute knapp 91 Jahre alt, holte vor 69 Jahren mit der Mannschaft von Schuhmetro Weißenfels den Titel des Ostzonenmeisters, ein Vorläufer der DDR-Meisterschaft, im Großfeldhandball. Am 4. Juli 1948 besiegten die Weißenfelser in einem bis zur Halbzeitpause spannenden Spiel Rostock-West mit 12:7. Und das vor einer unglaublichen Kulisse. 35.000 Zuschauer standen nach dem Bericht der Zeitung „Freiheit“ im Stadion in Leipzig-Probstheida auf den Tribünen des späteren Bruno-Plache-Stadions und feuerten die Mannschaften an, darunter Hunderte Weißenfelser. Einige Quellen sprechen sogar von 40.000 Zuschauern.
Spitzenhandballer kam als Achtjähriger von Nordhausen nach Weißenfels
Geschuldet war das unter anderem dem Umstand, dass es eine Doppelveranstaltung war. Denn im Anschluss an das Handballspiel wurde auch die Ostzonenmeisterschaft im Fußball zwischen Zwickau-Planitz und Halle-Freiimfelde entschieden - die Planitzer siegten 1:0.
Erich Marhold, der heute in einem Pflegeheim im Berliner Westend lebt, erzählt beim Gespräch in seinem Zimmer über jenen Tag, als wäre es gestern gewesen.
Der Spitzenhandballer kam als Achtjähriger von Nordhausen nach Weißenfels, weil sein Vater 1935 Arbeit in den Leuna-Werken bekommen hatte. Weißenfels war schon damals eine Handball-Hochburg und so war es kein Wunder, dass der Junge schnell entdeckt wurde. „Im Sportunterricht spielten wir Völkerball und ich konnte den Ball scharf und platziert auf den Gegner schießen. So wurde ich gefragt, ob ich nicht zum Handball kommen wollte“, erinnert sich Marhold.
Erich Marhold: Karriere im Handball durch den Krieg unterbrochen
Allerdings wurde die Karriere erst einmal durch den Krieg unterbrochen. Wie viele andere seiner Generation musste Marhold als Jugendlicher zum Arbeitsdienst, dann zu den Flak-Helfern und danach in die Wehrmacht der Nazis. 1946 kam er aus der Kriegsgefangenschaft zurück.
Trainer Kurt Näther kannte den jungen Mann und holte ihn zu seiner Weißenfelser Handballmannschaft. „Eigentlich spielten dort vorwiegend schon etwas ältere Sportler, die sich mit dem Trainer duzten. Ich war einer von den drei, vier ganz jungen, die ehrfurchtsvoll zu ihm aufschauten“, erzählt Marhold. Aber er hält noch heute große Stücke auf Näther.
Handballmeister von 1948: Das Geheimnis der Weißenfelser
„Der hat uns vor allem konditionell auf die Spiele vorbereitet, so dass wir oft unseren Gegner deutlich überlegen waren“, sagt Marhold. In der Regel musste ein Handballer damals die zwei Halbzeiten zu je 30 Minuten durchspielen. „Die letzte Viertelstunde war die härteste, aber nicht für uns, wir hätten nach dem Abpfiff noch mit vollem Tempo weiterspielen können.“
Das war dann wohl auch das Geheimnis der Weißenfelser. In jenem Finalspiel 1948 stand es zur Halbzeitpause 7:7, erinnert sich Marhold und man kann es in alten Zeitungen nachlesen. Dann setzte Spielführer und Freiwurfspezialist Herbert Wettwer sein ganzes Freiwurfkönnen ein, um die Führung zu erzielen. Dann schlug die Stunde von Erich Marhold. Er hatte in der ersten Halbzeit schon den Ausgleich zum 1:1 besorgt und baute in der zweiten die Führung mit eben seinem Spezialwurf auf 9:7 aus.
Handballmeister von 1948: 2.000 Mark Prämie von der Stadt und einen Ostseeurlaub mit Partnerin
„Danach mussten die Rostocker einen Wirbelsturm über sich ergehen lassen“, schrieb der damalige Sportreporter der Freiheit. Ein Jahr danach reichte es noch mal zur Vizemeisterschaft.
Komplett aus der Mode ist die Sportart Feldhandball gekommen. Gespielt wurde die Sportart, die mittlerweile vom Hallenhandball abgelöst wurde, bis in die 1970er Jahre hinein. Das Spielfeld für Großfeldhandball hatte dieselbe Größe wie ein Fußballfeld, also 90 bis 100 Meter lang und 55 bis 65 Meter breit. Das Tor hatte ebenfalls die Größe eines Fußballtors. Eine Feldhandballmannschaft bestand aus zehn Feldspielern plus einem Auswechselspieler und zwei Tormännern, die fliegend ein- und ausgewechselt werden konnten. Die Aufstellung war denkbar einfach. In der Fußballsprache war es ein zwei - drei - fünf. Vor dem Torwart agierten zwei Verteidiger, davor drei Läufer und vorn griffen fünf Stürmer an. Allerdings im jeweiligen Torraumdrittel des Feldes durften jeweils nur sechs Feldspieler jeder Mannschaft sich aufhalten. Die letzte Weltmeisterschaft im Großfeldhandball gab es 1966 in Österreich. Weltmeister wurde die Bundesrepublik Deutschland vor der DDR, wobei beide Teams jeweils gegen Österreich, Polen, Schweiz und Niederlande siegten und gegeneinander unentschieden 15:15 spielten, so dass das besser Torverhältnis für die BRD entschied. (ze)
Marhold, der später wieder nach Nordhausen zurückging, dort Spielertrainer beim Handball und Buchhalter in der Tabakfabrik war, erinnert sich, dass man die Zeit danach genossen hat. Ohnehin hatte Trainer Näther schon jedem seiner Jungs einen Fleischer aus der Gegend als „Paten“ zur Seite gestellt, damit die Spieler in den Nachkriegsjahren genügend Kraft tanken konnten. „Aber nach der Meisterschaft gab es für jeden von uns Handballern 2.000 Mark Prämie von der Stadt und einen Ostseeurlaub mit Partnerin“, erzählt Erich Marhold. Nach dem Training gab es auch immer einen reich gedeckten Tisch.
Marhold ging in den 1950er Jahren nach Hannover
Nur einmal reichten die Kräfte trotzdem nicht. „Als Ostzonenmeister fuhren wir zu einem Spiel in Berlin-Wilmersdorf. Unseren Erfolg hatten wir sogar stolz an die Busscheibe gemalt“ erzählt Marhold lachend. Die Wilmersdorfer spielten aber die dem Meister unbekannte sogenannte Betontaktik, an der sich die läuferisch aktiven Weißenfelser erfolglos die Seele aus dem Leib rannten. „Wir waren fix und fertig und hatten verloren. Die Aufschrift am Bus haben wir dann schnell abgewischt.“
Marhold ging in den 1950er Jahren nach Hannover, „weil ich als politisch unzuverlässig galt“, später nach Bremen, wurde Bauingenieur und arbeitete in Hannover bei Baubehörden. Nachdem seine Frau im vorigen Jahre gestorben war, holte ihn sein 1953 geborener Sohn nach Berlin, wo er auch wegen seiner extremen Sehschwäche einen Platz im Pflegeheim fand. „Nicht weit von unserer Wohnung“, sagt Sohn Hartmut Marhold.
Nur gingen bei dem Umzug ein paar Papiere verloren, darunter wohl auch der Zeitungsausschnitt von 1948. Deshalb hatte sich Hartmut Marhold an die Mitteldeutsche Zeitung gewandt mit der Frage, ob er den Ausschnitt noch einmal bekommen könnte. Mit Hilfe des Weißenfelser Stadtarchivs konnten Fotokopien der damaligen Artikel angefertigt und übersandt werden. „Ich habe ihm alles vorgelesen und das Bild beschrieben“, sagt Hartmut Marhold. „Mein Vater war darüber sehr glücklich.“ (mz)
Statistik -Endspiel um die Ostzonen-Meisterschaft im Feldhandball 1948
ZSG Schuhmetro Weißenfels - SG Rostock-West 12:7 (3:3)
Weißenfels: Wiebicke - Agsten, Horack, Petersohn (1), Hoffmann, Reinsperger, Marhold (2), Michael (2), Liebert, Wettwer (7), Zimmermann.
Ort: Leipzig - Probstheidaer Stadion (später Bruno-Plache-Stadion) - Zuschauer: 40.000